Lessings „Emilia Galotti“: „Mich wühlt das auf“

Einverleibung. Hauser und Holzhausen auf Lessings Spur.
Einverleibung. Hauser und Holzhausen auf Lessings Spur.(c) die Presse (Carolina Frank)
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Schauspielerin Marlene Hauser und Regisseur Lukas Holzhausen über „Emilia Galotti“, Machtmissbrauch und Politik.

Eine junge Frau wird von ihrem Vater getötet, um ihre Ehre zu retten, nachdem ein Prinz sie verführen wollte: Darum geht es, grob gesagt, in Lessings „Emilia Galotti“, ab 22. April im Volx/Margareten bzw. auf Tour durch die Außenbezirke Wiens zu sehen. Der Schweizer Lukas Holzhausen inszeniert, Newcomerin Marlene Hauser, die noch am Reinhardt-Seminar studiert, spielt die Titelrolle im Trauerspiel von 1772.

Lessings Stück lehnt sich an die römische Legende über Verginia oder Virginia an: Ein Konsul lässt ein Mädchen entführen, ihr Vater ersticht sie, um ihre Freiheit zu bewahren. „Mich wühlt auf zu sehen wie Emilia – meiner Meinung nach – keinen Fehler macht und trotzdem in die Tragödie abstürzt. Sie kann nicht anders handeln. Die äußeren Umstände fesseln sie. Was ihr passiert, ist unfair, aber auch realistisch,“ sagt Hauser. Sie wurde 1996 in Freistadt geboren und ist in Linz aufgewachsen. Schon als Kind erfasste sie der Theaterbazillus: „Meine Mutter ist viel mit mir ins Kindertheater der Landesbühne in Linz im u/hof gegangen. Bei einem Märchen, ich weiß nicht mehr welches es war, sind nachher die Schauspieler ins Publikum gekommen. Mich hat die Prinzessin an der Hand genommen.“ Später hat sie oft an Workshops teilgenommen und dann beschloss sie vorzusprechen. Am Reinhardt-Seminar wurde sie sofort aufgenommen, eine Sensation bei dem enormen Andrang an diesem renommierten Institut.

Klar, ruhig, radikal. Nun wird Hauser sogar ihre Diplomarbeit über Emilia Galotti schreiben: „Diese Figur erdet mich. Ich möchte sie zu meiner machen. Ich bewundere sie. Sie ist klar, ruhig, radikal.“ Ist Emilia in den Prinzen, der seine Macht missbraucht und ihren Verlobten, den Grafen Appiani töten lässt, verliebt? „Das weiß ich nicht“, so Hauser: „Durch das Treffen mit dem Prinzen in der Kirche blüht sie auf. Sie entdeckt eine neue Seite an sich, ist aber auch überfordert. Dann wird sie zerstört. Solche Dinge gibt es auch heute, im richtigen Leben. Man kann nichts dafür, muss aber büßen.“ Und sogar sterben. „Emilia selbst ist es ja, die ihren Vater herausfordert, sie zu ermorden. Das ist extrem und der eigentliche Skandal des Stückes, der bis heute erschreckt.“

Hätte es eine Alternative zur Schauspielerei gegeben? „Die waren nicht sehr konkret. Auf jeden Fall hatten sie auch mit Theater und Literatur zu tun. Ich dachte daran, Deutschlehrerin zu werden oder Theaterpädagogin. Ich habe immer sehr gern gelesen, zuletzt zum Beispiel die Bücher von Elena Ferrante, die haben mich begeistert.“ Anfangs hatte sie in Wien Heimweh, inzwischen fühlt sie sich wohl in der Großstadt, „aber es ist immer schön, nach Hause zu kommen“. Hauser hat bereits Filme gedreht, darunter „Too fast“ von Günther Kaser über Sucht. „Ich mag beides. Film ist minimalistisch. Im Theater geht man die Szenen immer wieder durch und kann dem Schauspieler beim Denken zusehen.“ Der Schweizer Lukas Holzhausen ist Schauspieler und Regisseur. Am Volkstheater war er als Molières „Menschenfeind“ zu sehen, in dieser Rolle war er für den Nestroy-Theaterpreis als bester Schauspieler nominiert. „Emilia Galotti“ scheint ihm sehr aktuell zu sein: „Wir leben in einer Zeit, in der, wie Habermas gesagt hat, eine Refeudalisierung der Gesellschaft im Gange ist. Eine ganz kleine Schicht von unglaublich reichen Leuten kann viel mehr bestimmen als vor 30 Jahren. Wir nähern uns wieder Zuständen wie im Absolutismus.“ Kann auch Mord ungestraft bleiben? Holzhausen: „Kommt drauf an, wo. Um zu ihren Zielen zu kommen, sind viele Machthaber auch heutzutage bereit, Grenzen zu überschreiten. Man denke nur an einen Spruch wie „Grab them by the pussy“. Und das hat nicht irgendwer gesagt, sondern der amerikanische Präsident. Und der ist – trotz aller Affären – immer noch im Amt, getragen von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung.“

Mafios. Ausgeführt werden die Machenschaften des Prinzen bei Lessing vom Kammerherrn Marinelli. Holzhausen: „Marinelli will Anerkennung und die Nähe des Prinzen. Er weiß, worauf er sich einlässt. Naiv ist in dem Stück niemand. Es geht aber nicht darum, dass man die Lüge des Gegenübers wirklich glaubt. Man kann nur nicht anders als so zu tun. Wenn Marinelli Emilias Mutter erklärt, Appiani war mein bester Freund, obwohl er für seine Ermordung gesorgt hat, wird niemand etwas dagegen einwenden können. Weil Marinelli diese Wahrheit jederzeit durchsetzen kann. Er hat die Macht und um die geht es in dem Stück. Die Verhältnisse in diesem Staat sind mafios.“ Lessing war sehr deutlich und mutig in der Art, wie er seinem Landesherren, von dem er abhängig war, Missstände vorführte. In der Gesellschaft gärte es. Ein Beleg dafür ist die Figur des Vaters der Emilia Galotti, Odoardo. Holzhausen: „Appiani macht sich für Odoardos politische Agenda stark. Die beiden sind mehr verbunden als Emilia und Appiani. Odoardo ist Appianis Inspirationsquelle.

Odoardo sagt: Gehen wir weg vom Hof. Lösen wir uns aus diesen den Machtverhältnissen.“ Auffallend ist, dass in diesem Stück allen Übles schwant. Gibts einen sechsten Sinn? Hauser: „Ich glaub schon. Aber man hört nicht auf ihn oder darf nicht auf ihn hören.“ Holzhausen: „Das Unbewusste kriegt oft mehr mit als das Bewusstsein. Es klingeln die Alarmglocken, aber man hört nicht auf sie. Immer wieder müssten sich Figuren in diesem Werk sagen: Hier stimmt etwas überhaupt nicht. Appiani hat ein Gefühl von unglaublicher Beklemmung, an seinem Hochzeitstag geht es ihm schlecht und er ist ernst. Es ist, als ob er ahnt, dass es nicht gut ausgehen wird.“ Für Hauser ist es fürs Erste gut ausgegangen. „Aber zurücklehnen kann man sich nicht“. Also bereitet sie sich schon jetzt aufs Vorsprechen vor Intendanten im Herbst vor.

Tipp

„Emilia Galotti“. Premiere am 22. April im Volx/Margareten. Ab 25. April auf Tour in den Bezirken, www.volkstheater.at

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