Filmmusik: Die Fabrik der Gefühle

Aufnahmesaal. Filmmusik in bester Akustik.
Aufnahmesaal. Filmmusik in bester Akustik.(c) Beigestellt
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Großes Kino entsteht auch in den Ohren. Dafür sorgt auch die Vienna Synchron Stage. Dort, wo Wien schon immer Filmstadt war.

Die Filmmusik ist kein Metier für „Pi mal Daumen“. Die Noten stehen in der Partitur nun mal exakt dort, wo sie der Komponist haben wollte. Denn die Töne haben auch einen ganz bestimmten Auftrag mitbekommen, bis in die Ohren und tiefer ins Gehirn: Gefühle triggern, bitteschön. Die Vienna Synchron Stage ist einer der wenigen Orte weltweit, an dem solch große Gefühle entstehen: durch Filmmusik. Musiker lassen hier Noten zu Klängen werden. Und die Technik sie zu digitalen Files. Dafür stehen die Mikrofone, die den Schall einfangen genauso exakt wie die Noten auf den Zeilen. Und sie neigen sie auch exakt so, wie sie geneigt sind, wenn ausgerechnet jener Filmkomponist mit ausgerechnt dieser Partitur wieder an der Reihe ist – im großen Aufnahmesaal. Die innerste „Schachtel“ in einem denkmalgeschützten Haus. Wo alles gleichzeitig, synchron, aber nichts parallel verläuft: Nicht die Wände. Nicht Boden und Decke. An einem Ende ist sie 13 Meter hoch. Am anderen nur 10. Auch ein Grund, warum man dem Raum eine so ausgezeichnete Akustik nachsagt. In der Vienna Synchron Stage bekommen jetzt auch die Ohren des Kinopublikums, was sie verdienen: allergrößte Aufmerksamkeit. Auf einem Areal, das als Rosenhügelstudios den Plot der Filmgeschichte der Stadt ausführlich mitgeschrieben hat.

Hausherr. Herbert Tucmandl leitet die Vienna Synchron Stage.
Hausherr. Herbert Tucmandl leitet die Vienna Synchron Stage.(c) www.zeggl.at

Doch zunächst sind die relevantesten Ohren jene, die die Noten auf die Zeilen setzen: Schon Größen wie Hans Zimmer haben gelauscht, von L. A. aus oder auch vor Ort, wie am Fuß des Rosenhügels Noten zu Musik zu Gefühlen werden, die Filmfiguren dem Plot entlang viel mehr als nur begleiten. Denn der „Score“ eines Films macht Monster monströser und Helden heldenhafter. Manchmal rückt dafür auch die Crew der Vienna Synchron Stage mit den größten Schlagwerken per Lastenaufzug direkt aus dem Keller an. Für die nötigen Paukenschläge zu den manchmal unvermeidlichen Trompeten oder Hörnern, die ins – natürlich exakt geneigte – Mikrofon schmettern. Wer Conan der Barbar ist oder Tyrannosaurus Rex, der braucht auch musikalisch einen starken Auftritt.

Da kann es aber auch vorkommen, dass die passende Partitur dazu erst eine halbe Stunde vor Aufnahmebeginn aus Hollywood auf den Notenständern der Halle einflattert. Doch die Musiker, die in den Pool gerutscht sind, aus dem die Vienna Synchron Stage schöpft, bewältigen weit größere Herausforderungen als Kurzfristigkeit. Schließlich ist Synchronizität hier vor allem etwas, was die Musiker bewältigen müssen: aufs Notenblatt schauen, auf den Dirigenten auch, vielleicht noch die passende Filmszene auf dem riesigen LED-Screen im Auge behalten, dazu im Kopfhörer die eigenen Töne und die Kommentare der anderen. Ah ja, da war ja noch der Time-Code, der Bild und Musik zusammentaktet.

Synchronhalle. Denkmalgeschützt, musikalisch genutzt.
Synchronhalle. Denkmalgeschützt, musikalisch genutzt.(c) www.zeggl.at



Akustische Blase. Zwischentöne sind eher was für Drehbuchautoren als für „Scoring Stages“ wie jener in Wien-Speising. Hier surrt nichts, rauscht nichts. Nicht die Kabel, nicht die Ventilatoren. Nur der Klang des Instruments wird zum Signal, das gern auch ein paar Umwege geht, bevor es als Schall wieder ins Ohr des Kinozuschauers schlüpft. Manchmal geht es nach Hollywood und wieder zurück. Aber auch im Haus kann es so einige Kilometer im Audio-Kabel zurückspulen. Blockbuster und auch BBC-Dokumentationen haben sich in Wien schon ihren Score geholt. Und zwischen den Takes scheint der Saal fast zu verstummen. Wenn da nicht gerade ein junger Musiker mit dem Geigenbogen über die Marimba streichen würde. Denn dieser Klang, eingefangen vom Mikrofon im Winkel von 49 Grad, das hat einer Bibliothek noch gefehlt, die ohnehin schon drei Millionen Samples archiviert: Die „Vienna Symphonic Library“ (VSL) hat sich hier auch verortet, gemeinsam mit der „Scoring Stage“ spielt sie die Zukunftsmusik des Hauses, das schon 1939 für den Zweck gebaut wurde, dem es heute wieder dient: der Filmmusik. Herbert Tucmandl hatte die VSL gegründet, er selbst war Cellist und Substitut bei den Wiener Philharmonikern sowie Filmmusik-Komponist und Produzent. Seit 2013 dirigiert Tucmandl von hier aus, wie sich die Library weiter mit Tönen und Tonfolgen füllt. Nämlich jedes erdenklichen Orchesterinstruments, gespielt in jeder vorstellbarer Technik. Daraus wurde ein riesiges Reservoir an digitalen Samples, aus dem Musiker, Weltstars, Medienproduzenten und Filmkomponisten schöpfen, daraus den nächsten Film-Score, Werbejingle oder Welthit basteln.

Die Architektur des Hauses folgt einer ambitionierten Ausgangsidee: Künstler und Musiker sollten eingeflogen werden, direkt vor dem Haus – bei laufenden Aufnahmen. Da brauchte es schon einige technische Raffinesse, um den Saal akustisch völlig von der Umgebung zu entkoppeln. „Das Konzept ist: Ein Haus in einem Haus in einem Haus. Und alle haben physikalisch nichts miteinander zu tun“, erklärt Jan Dirk Geertsema, der sich bei der Vienna Synchron Stage auch um Gäste, Besucher und Kunden kümmert. Innerhalb eines Augenblicks sind seine Worte verhallt. Der Saal füllt sich sofort wieder mit unsichtbarer Watte. Ein akustisches Vakuum. Da können die Straßenbahnen vor der Tür noch so rattern. Drinnen bleibt es stumm. Nichts rauscht. Außer das, was man nicht abstellen kann: das Blut in der Blutbahn.

Tipp

Filmmusik. Die zehnte Film Composers Lounge findet am 27. April um 20:00 Uhr im Porgy & Bess in Wien statt. Samt Vergabe des Wiener Filmmusik-Preises 2018.

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