Randerscheinung: Sinnfrage

Höchste Zeit, sich ehrlich zu machen. Welche Optionen haben Sie noch?

Es heißt doch immer: Ein Vorteil am Leben mit Kindern sei, dass man sich die Sinnfrage nicht stellen müsse. Das ist schon richtig. Allerdings nur, weil man keine Zeit mehr dafür hat. Beantwortet ist sie freilich ganz und gar nicht. Ich persönlich nage immer noch an den Folgen der Lektüre des „Zeit“-Covers mit dem Titel „In der Mitte des Lebens“. Ein weiterer Artikel nach dem Strickmuster „70 ist das neue 20“, doch diesmal standen die Fünfzigjährigen im Mittelpunkt. „Da geht noch was − die Zukunft wird kürzer als die Vergangenheit. Höchste Zeit, sich ehrlich zu machen“ und „Nicht mehr jung, aber sehr präsent: Welche Optionen haben Sie noch?“, wurde dort in Unterzeilen gefragt. Die Antwort („eigentlich keine“) wurde in viele aufmunternde Worte gepackt. Jetzt bin ich noch keine fünfzig, ich könnte also sagen, das geht mich nichts an, ehrlich machen kann ich mich später immer noch. Aber da ich in den nächsten sieben Jahren kaum dazukommen werde, mich mit irgendwelchen prinzipiellen Fragen auseinanderzusetzen (der Ertrinkende feilt auch nicht an seinem Schwimmstil), könnte ich meine Midlifecrisis genauso gut schon heute starten. Die Ausgangslage ist sonnenklar: Wenn ich fünfzig bin, ist der Jüngste gerade einmal mit der Volksschule fertig. Der Älteste hätte im Idealfall (davon soll man nie ausgehen) sein Studium in der Tasche und der Mittlere wird sich hoffentlich ausgiebig dem Humboldt’schen Bildungsideal (Probieren geht über Studieren) hingeben. Klingt zwar insgesamt schön, aber eher nicht danach, als täten sich da für mich mehr Räume auf, um diese verflixte Sinnfrage zu klären. Aber wahrscheinlich ist ja genau das der Sinn am Nachwuchs. Und bis dahin ist sicher schon sechzig das neue dreißig. Jede Menge Zeit, um mich ehrlich zu machen. 

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