Randerscheinung: Zuckerschneckenprinzip

Wir haben sicher schon einmal darüber gesprochen. Andererseits:

Worüber eigentlich nicht? Ich jedenfalls lebe schon seit Langem nach dem Zuckerschneckenprinzip. Wenn ich irgendwie die Möglichkeit dazu habe, mache ich unangenehme Dinge zuerst, hebe mir das Beste bis zum Schluss auf. Ich nehme mir also in der zweiten und nicht in der ersten Weihnachtswoche Urlaub. Erledige den Großeinkauf am Samstag ganz in der Früh. Und – da ich nur das Prinzip, aber keine Zuckerschnecken mag – esse Tortenstücke so, dass für den letzten Bissen die Spitze übrig bleibt. Der riesengroße Haken: Das Leben lässt sich so nicht leben. Viele der Sensationen des Daseins sind eher den ersten beiden Lebensdritteln vorbehalten, vieles vom weniger Schönen kommt überhaupt erst ganz am Schluss. Die Benjamin-Button-Option (man beginnt als Greis und endet als Neugeborenes) als Lösung bieten leider nur Buch und Leinwand. Was aber die Jahreszeiten angeht, gibt es erheblichen Spielraum. Gerade Mitte Oktober, wenn der letzte Rest jenes Herbstes langsam vergeht, den sie anderswo Indian Summer nennen, blicke ich wieder ziemlich unglücklich auf die letzten beiden Monate des Jahres. Man hat die angenehmen Dinge konsumiert und sitzt in der Kälte herum, bis wieder das Licht angeht. Aus dieser Perspektive betrachtet, endet das Jahr quasi zwangsläufig schlecht. Anders als den Ablauf des Lebens kann man das aber mit einem einfachen Kniff ändern. Ich lasse mein ganz privates Jahr Mitte Oktober beginnen (heute ist also Neujahr, nur ohne Wiener Philharmoniker) und absolviere die beiden üblen Jahreszeiten damit gleich zu Beginn. Den Sommer und den goldenen Teil des Herbstes hebe ich mir so bis ganz zum Schluss auf. Ja, so sind wir, wir Zuckerschnecken . . . 

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