Randerscheinung: Interessenlage

Wir kommen derzeit schlecht weg. Der Jüngste und ich. In der Früh. Und, um es offen zu sagen: Es liegt nicht so sehr an mir.

Der Jüngste mag nicht in den Kindergarten, wenn er hinsoll; wenn man ihn dort abholt, mag er meistens noch bleiben, doch daran will er sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern. Unsere Interessenlage ist ziemlich gegensätzlich: Er will so lange wie möglich zu Hause bleiben, ich würde ihn gern um Viertel nach acht im Kindergarten abliefern. Ich hätte gern Morgenroutine ohne viele Diskussionen, er hätte gern, dass immer Sonntag ist (was mir prinzipiell schon auch recht wäre). Um diesen Gegensatz nicht zu scharf an den noch jungen Tag treten zu lassen, spiele ich, wenn ich nicht wieder einmal die Nerven verliere, was öfter vorkommt, als mir lieb ist, „Wir haben alle Zeit der Welt“.

Dann räumen wir Spiele heraus, öffnen die Verkleidungskiste und beginnen seelenruhig (also seelenruhig ist er, ich brodle unter der Oberfläche) um zehn vor acht, die Brio-Eisenbahn aufzubauen. Führen L’art-pour-l’art-Dialoge („Papa, warum schälst du eine Zitrone?“, „Das ist keine Zitrone.“, „Warum schälst du eine Kiwi?“, „Das ist auch keine Kiwi. Ich geb dir einen Tipp: Welche Farbe hat die Frucht?“, „Orange.“, „Also ist es was?“, „Eine Zitrone.“). Und wechseln zigmal die Kleidung (er, nicht ich). Auf dem Weg in den Kindergarten drücke ich dann trotz aller guten Vorsätze aufs Tempo, worauf er sofort mit großem Trödeln antwortet. Beim Verabschieden zögert er kurz, bevor er mich loslässt, läuft dann aber zielstrebig in seine Gruppe. Ich bin froh, es auch heute wieder geschafft zu haben. Und habe trotzdem kein gutes Gefühl. Zu Hause trödle ich dann immer noch ziemlich herum, bis ich endlich in die Redaktion fahre. Wir kommen derzeit einfach nicht gut weg.

Schaufenster.DiePresse.com/Randerscheinung

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