Die Randerscheinung: Sternsinger

Der Jüngste und ich haben uns gerade fertig gemacht, um das Haus zu verlassen, als es an der Tür läutet.

Draußen stehen fünf Sternsinger-Kinder mit erwachsener Begleitung. Sie beginnen, ihr Sprücherl aufzusagen, ich versuche, meinem erstaunten Sohn flüsternd zu erklären, wer da gerade warum was macht. Als dann auch noch das Lied zu Ende ist, stecke ich etwas in die mir dargereichte Sparbüchse, worauf einer der Könige recht ausführlich aus dem Nähkästchen zu plaudern beginnt. „Gestern haben wir über tausend Euro verdient, und heute ist es auch nicht schlecht. Aber der erste Tag ist immer besser als der zweite . . .“ Um dem Jüngsten die völlig Desillusionierung zu ersparen, frage ich rasch nach dem Schriftzug an der Tür und bekomme zu meinem Erstaunen ein Pickerl mit 20 C+M+B 15 in die Hand gedrückt. Als ich schüchtern nach altmodischer Kreide frage, wurschtelt die Begleitperson missmutig ein kleines Stück aus der Tasche, löscht den vorhandenen Vierer von der Tür und schreibt einen Fünfer hin. Nachdem die Hl. Drei Könige wieder weitergezogen sind, machen der Jüngste und ich wie geplant unseren Spaziergang. Draußen ist nun endgültig jene Zeit angebrochen, in der gar nichts mehr blüht, außer zig verlorene Handschuhe in allen möglichen Farben, die an Zäunen, Geländern und sonstigen Plätzen von wohlmeinenden Findern aufgehängt werden, um nicht endgültig im Gatsch unbrauchbar zu werden. Auf dem Weg zum Kindergarten hängt seit Tagen ein roter Handschuh, dessen Schicksal der Jüngste und ich aufmerksam verfolgen. Heute liegt er nass auf dem Boden. Auf der anderen Seite des Gehsteigs kommt uns eine andere Gruppe Sternsinger entgegen. „Kommen die auch noch zu uns und bringen ein Pickerl?“, fragt der Sohn. Das neue Jahr nimmt langsam Fahrt auf.

Schaufenster.DiePresse.com/Randerscheinung

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