Randerscheinung: Fasching

Der Jüngste sieht heute nicht so gut.

Das liegt an der Augenklappe, die nicht nur sein linkes Auge zur Gänze verdeckt, sondern deren Befestigungsgummi auch noch zwei Drittel seines rechten Auges beeinträchtigt. Aber er sieht ziemlich furchterregend aus. Und das ist schließlich, worauf es bei einem Piraten ankommt. Im Kindergarten sehe ich dann, dass sich in den zehn Jahren, seit der Mittlere im Kindergarten war, faschingsmäßig nicht allzu viel getan hat. Die Mädchen sind allesamt Prinzessinnen, Engel, Feen, Ballerinen. Hauptsache viel Rosa, Spitze, Tüll, aufwendig geflochtene Haare und – es scheint fast, als wäre das die Hauptsache – die Erlaubnis, Mamas Schminkzeug zu benützen. Die Buben wiederum sind ausnahmslos bis an die Zähne bewaffnet. Schwerter, Pistolen, Pfeil und Bogen. Der Einzige in Zivilverkleidung (ein Waldarbeiter mit Blaumann, Schutzhelm und beeindruckendem Bart) führt eine Kettensäge mit sich. Dass man auch damit ein ordentliches Massaker anrichten kann, ist inzwischen ja einschlägig bekannt. Mein Pirat hat übrigens im Gegensatz zu den meisten anderen Buben keine schwarzen Bartstoppeln ins Gesicht gemalt. Ich kann mich nämlich erinnern, dass mich das als Kind immer unglaublich gejuckt hat. Wobei: Erst wenn man die schwarze Bartstoppel-Schminke mit dem weißen Puderzucker der Faschingskrapfen verschmiert, ist wirklich Fasching. Der Jüngste rast also mit Säbel und Schatzkarte bewaffnet in die Gruppe, und ich bleibe mit einem Papagei zurück, den wir eigentlich noch an seiner Schulter befestigen wollten. Draußen vor dem Kindergarten begegne ich noch einer kleinen Squaw. Ganz ohne Rosa. Im Schneematsch liegt eine verlorene Augenklappen mit Totenschädel und gekreuzten Knochen. Immerhin: Irgendjemand sieht zumindest wieder etwas.

Schaufenster.DiePresse.com/Randerscheinung

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