Randerscheinung: Erklärungsstrohhalm

Die Feuchtblattern waren also nicht die Erklärung.

Die haben nämlich nach dem Mittleren auch den Jüngsten erwischt, obwohl wir ursprünglich gedacht haben, der Jüngste hätte sie eingeschleppt, und erst dann . . . aber egal. Das tut nichts zur Sache. Wenn die Krankheit die Erklärung gewesen wäre, hätte sich der Jüngste nach Genesung wieder etwas einkriegen müssen. Hat er aber nicht. Gar nicht. Man kennt das ja: Ein Kind ist irgendwie neben der Spur, quengelig, nah am Wasser gebaut, nah am Krach gebaut, was immer. Und man denkt sich: Komisch, vielleicht wird er krank? Und wenn er dann krank wird, ist man fast erleichtert, weil es scheinbar eine Erklärung für das Verhalten davor liefert. Und man klammert sich gern an jeden Erklärungsstrohhalm, wenn es gerade wieder gar so unerklärlich ist. Das gibt’s auch mit Nahrung oder Schlaf: „Na schau, einen Hunger hat er g’habt“ oder „Na müd’ ist er g’wesen“, sagen Eltern vor allem in der nonverbalen Phase erleichtert, weil alles, was vorher war (und es war meist gar nicht schön), sich im Nachhinein durch den Nahrungs- bzw. Schlafmangel hat erklären lassen. Man ist dann froh und ganz gerührt von sich und diesem
satten oder schlafenden Kind. Kinderkrankheiten können das manchmal auch, nur über einen Drei-Wochen-Zyklus. Ist die Krankheit weg, ist plötzlich ein neuer Entwicklungsschritt geschafft. Oder nicht. „Hörst du mich eigentlich?“, frage ich, nachdem ich zum x-ten Mal das Gleiche gesagt habe. „Sicher, ich bin ja nicht unhörig“, meint der Jüngste, ohne dabei aufzuschauen. „Und warum tust du es dann nicht?“, frage ich genervt. „Das erkläre ich dir später“, meint er knapp. Später irgendwann hängt er mit dem Kopf nach unten über der Couchlehne: „Alles ist verkehrt, außer mir.“ Da ist sie endlich, die Erklärung.

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