Randerscheinung: Maturavorbereitung

Sosehr ich mich auch bemühe, ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern.

Was ich angehabt habe, was ich gefragt worden bin, was ich geantwortet habe. Nur eines glaube ich zu wissen: Ich habe letztlich die Matura bestanden. Insofern war es ganz hilfreich, dass der Älteste anlässlich seiner Matura mein Maturazeugnis sehen wollte. Das ich dann schließlich, nach ziemlich langem Suchen, auch irgendwo unten drunter gefunden habe. Nur so viel: Es ist kein Wunder, dass ich mich nicht mehr so genau erinnere. Das Gedächtnis hat ja nicht umsonst diese Schutzfunktion eingebaut. Der Älteste wird jedenfalls, wenn Sie das hier lesen, schon maturiert haben und gerade die Tasche packen, um auf eine dieser Megamaturareisen zu fahren, bei denen die Versuchsanordnung im Wesentlichen darin besteht, einen ganzen Ferienklub voll mit Maturanten zu füllen und zu schauen, was dann passiert. Ich kann es mir vorstellen. Falsch: Ich stelle es mir sogar vor. Der Kontrast könnte nicht größer sein. Zuerst beschäftigt man sich in Vorbereitung auf die Deutschmatura zwei Wochen intensiv mit Werther und Woyzeck, diesen Unglückswürmern, dann lässt man in Antalya die Sau raus. Es wäre interessant zu untersuchen, ob sich der zum Pessimismus neigende Österreicher eigentlich anders entwickeln würde, wenn er sich nicht schon seit Generationen vor der Matura so intensiv mit Werther und Woyzeck beschäftigen müsste. Denn welchen anderen Eindruck vom Leben kann man denn da schon gewinnen als jenen, dass es nicht wirklich gut ausgehen wird? Man könnte freilich auch argumentieren, wenn man Woyzeck und Werther kennt, kann einen nicht mehr viel überraschen im Leben. Zusammen mit so einer Maturareise ist man dann wahrscheinlich gut vorbereitet. Egal, was kommt.

Schaufenster.DiePresse.com/Randerscheinung

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