Randerscheinung: Währenddessenfreude

Ich bin kein großer Freund von Sprichwörtern. Meistens langweilen sie mich, außerdem stimmen sie nur selten.

Die schönste Freude ist selbstverständlich die Währenddessenfreude. Nur so als Beispiel. Daran muss ich denken, als ich um 6.30 Uhr gerade die Kaffeemaschinen in Gang setze und der Älteste nach Hause kommt. „Warum bist denn du schon auf?“, fragt er mich grinsend. „Warum bist denn du noch auf?“, frage ich lachend zurück. Anders als im Film kann dieser minimalistische Dialog so leider nicht stehen bleiben. Ich rufe meinem Nachtfalkensohn, der sich auf den Weg ins Bett macht, um sich auszuschlafen, flüsternd nach (ja sicher kann man flüsternd rufen), er soll bitte um Himmels willen leise sein, damit er seinen kleinen Bruder nicht aufweckt. Antwort höre ich keine mehr. Der passende Spruch aus meiner Kindheit zu dieser Situation wäre übrigens: „Wer feiert, kann auch arbeiten.“ Auch hier ist natürlich das Gegenteil wahr: Wer gefeiert hat, sollte ausschlafen dürfen. Kaum ist jedenfalls der Älteste im Bett verschwunden, steht der Jüngste auf. Vielleicht kann man doch nicht flüsternd rufen? Im Gegensatz zu seinem Bruder redet der Kleine ununterbrochen. Man hat fast das Gefühl, dass die vor fünf Jahren durchtrennte Nabelschnur durch ein ständiges „Mama“ (bzw. „Papa“) zumindest akustisch aufrechterhalten werden soll. Aber immerhin kann er sich jetzt schon so weit von seinen Eltern entfernen, wie seine Stimme trägt. Der dreijährige Besuch neulich musste seine schwangere Mutter noch ständig angreifen, um sich ihrer Gegenwart zu versichern. Idealer ist nur, man ist noch im Bauch drinnen. „Papa?“, schreit der Jüngste inzwischen wieder. Und ich rufe flüsternd: „Kannst du bitte leise sein, dein Bruder schläft . . .“

Schaufenster.DiePresse.com/Randerscheinung

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