Randerscheinung: „Viral“

Also ich denke ja bei „viral“ Anfang Dezember immer noch an Kamillentee, Bett und Fieberthermometer und nicht an YouTube-Filmchen, auf denen sich Hauskatzen vor Gurken erschrecken.

So viel nur als Rutsche ins Thema Lost in Translation. Als ich neulich ins Zimmer des Ältesten komme, der gerade lernt, sehe ich ihn in dem Buch da herumblättern, offenbar etwas suchen, worauf ich frage, ob er schon hinten im Stichwortverzeichnis nachgeschaut hat. Mit dem Nachsatz: „Das war unser Google.“ Während ich es sage, sehe ich schon sein nachvollziehbares Augenrollen, aber ich kann nicht mehr zurück. Warum man als Eltern dauernd so Sachen sagt, von denen man schon vorher weiß, wie peinlich man die als Kind findet, ist eines der vielen ungelösten Rätsel. Dass junge Menschen mit einem Stichwortverzeichnis nichts mehr anfangen können, stimmt trotzdem. Gehört zu den aussterbenden Kulturtechniken. Später am Esstisch wird dann der Mittlere mit dem nicht ganz ernst gemeinten Verweis auf seine Fertilität aufgefordert, sein Handy aus der Hosentasche zu nehmen (will man eine kleine Handypause erreichen, darf man sich für nichts zu schade sein). Worauf der nur meint, wenn ein Handy in der Hosentasche unfruchtbar mache, dann sei eh alles wurscht, weil dann sterbe die Menschheit aus. Für fix. In der Annahme, nun voll und ganz auf der sicheren Seite zu sein, nutze ich später die friedliche Stimmung beim Anzünden der ersten Kerze am Adventkranz, um den Jüngsten zu fragen, was er denn zu Weihnachten haben will. „Ich wünsch mir ein Handy, auf dem ich mir die ganzen Spiele und Musik draufladen kann.“ Dass mein Handy mit fünf Jahren Holzbausteine waren, trau ich mich dann nicht mehr zu sagen. Dafür fühle ich mich plötzlich ein wenig „viral“.

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