Randerscheinung: Vaterfiktion

Die Vaterfiktion ist ein zweischneidiges Schwert.

Einerseits hilft die unzutreffende Annahme der Kinder, ihre Eltern können prinzipiell alle Probleme lösen, Fragen beantworten und Wünsche erfüllen, ganz entscheidend bei der Erziehungsarbeit. Wenn sich ein Kind fürchtet zum Beispiel, wirkt ein „alles in Ordnung, es kann nichts passieren“ von den Eltern Wunder, auch wenn es überhaupt und auch ganz offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht. Andererseits ist die Erkenntnis, dass Eltern auch recht wenig des ganz Essenziellen genauer wissen, wenn sie zu plötzlich eintritt, durchaus dazu geeignet, das bisher mühsam aufgebaute Weltbild in seinen Grundfesten zu erschüttern. Ich bewege mich diesbezüglich auf ziemlich sicherem Terrain. Die beiden älteren Söhne wissen längst, was ich alles nicht weiß und im Zweifel nur mit einem Augenzwinkern behaupte. Der Älteste etwa pflegt der Lektüre von Zeitungsartikeln seines Vaters gern mit einem spöttischen Lächeln und einem „Da hast du dich aber ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt“ zu beenden. Wenn die Vaterfiktion einmal derart offen dekonstruiert worden ist, kann man sich endlich ohne das ganze mühsame Vater-Sohn-Zeugs begegnen. Das ist gut und schön so. Der Nachzügler wiederum stellt seine Fragen über das Wesen der Welt noch so unbefangen, als hätte ich irgendwo eine Gebrauchsanleitung für alles und jedes versteckt. „Ist es eigentlich schwierig, eine Frau zu finden?“, will er neulich von mir wissen. Als ich nach bestem Wissen und Gewissen sage „Nicht leichter oder schwerer, als einen Freund zu finden, das ist manchmal kompliziert, manchmal geht es ganz von selbst“, muss er lächeln und ist mit der Antwort zufrieden. Mir kommt vor, er hat schon eine ganze Menge verstanden.

Schaufenster.DiePresse.com/Randerscheinung

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