Randerscheinung: Ausfahrt

Warum der Weg in den Kindergarten gerade wieder länger dauert als normalerweise, ist eigentlich egal.

Normal gibt es nämlich nicht, sondern nur die Vorstellung davon. Der Grund für die Verspätung ist derzeit ein erfreulicher: Der Sohn muss alles lesen, was so auf der Straße zu lesen ist. Das ist lustig, und es führt dazu, dass man sich die Schilder selbst auch wieder einmal genauer anschaut. „A-u-s-f-a-h-r-t f-r-e-i-h-a-l-t-e-n“ liest der Jüngste und wiederholt dann für sich, wenn er auch den Sinn erfasst und nicht nur die Buchstaben aneinandergereiht hat: „Ausfahrt freihalten“. Am nächsten Tor steht – ich erspare Ihnen die Buchstabierphase: „Einfahrt freihalten“. Dann kommt, was kommen muss: „Warum steht da Einfahrt und dort Ausfahrt, wo ist der Unterschied?“ Auf dem Rückweg vom Kindergarten muss ich noch länger drüber nachdenken. Bei der Feuerwehr zum Beispiel ist Ausfahrt freihalten logischer, weil es darauf ankommt, dass das Löschfahrzeug rauskommt, um zu löschen. Ob es nach dem „Brand aus“ wieder reinkommt, ist weniger wichtig. Bei einem Krankenhaus kommt es wieder mehr auf die Einfahrt an. Wobei: Wenn der Krankenwagen zum nächsten Notfall nicht mehr rauskommt, ist es auch ein Problem. Bei den Garagen von Privatpersonen könnte die Entscheidung, ob man das, was man da hat, als Ein- oder Ausfahrt bezeichnet, dann doch tiefergehende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zulassen. Wer eine Ausfahrt hat, will ungehindert in die Welt hinaus, der mit der Einfahrt will sich jederzeit zurückziehen können. Der Zusatz „Tag und Nacht“ (auch gern mit einem „Arzt im Dienst“- oder einem „Presse“-Schild kombiniert) unterstreicht die eigene Unentbehrlichkeit. Ich habe übrigens weder eine Aus- noch eine Einfahrt.

Schaufenster.DiePresse.com/Randerscheinung

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