Randerscheinung: Zeitschinden

„Papa, ich kann nicht einschlafen“, höre ich den Jüngsten wieder einmal aus seinem Zimmer rufen.

„Papa, ich kann nicht einschlafen“, höre ich den Jüngsten wieder einmal aus seinem Zimmer rufen. Dabei war er seit dem Gute-Nacht-Sagen doch schon zwanzig Minuten ruhig. „Also ich kenne auch niemanden, der im Sitzen bei Licht gut einschlafen kann, vielleicht legst du dich einfach einmal hin“, sage ich etwas ungeduldig und drücke auf den Lichtschalter. „Das stimmt nicht, Pferde schlafen sogar im Stehen“, meint der Sohn und steht nun prompt im Bett auf. „Soweit ich weiß, bist du aber kein Pferd. Und Menschen schlafen im Liegen.“ Er schaut mich an, kriecht unter die von mir hochgehaltene Decke, ist einen kurzen Moment ganz ruhig, setzt sich dann aber sofort wieder ruckartig auf und fragt: „Welcher Tag ist morgen?“ – „Morgen ist Freitag, und du musst jetzt wirklich schlafen, weil du ja Schule hast und aufstehen musst.“ Dieser Einwand verhallt ungehört. „Warum heißt es eigentlich Freitag, wenn doch gar nicht frei ist?“, will der Volksschüler nun wissen. „Hm, das ist ja bei den anderen Tagen auch nicht so, dass die heißen, wie sie sind, oder?“, frage ich und will das Zeitschinden beenden. Was nicht wirklich gelingt. „Natürlich! Am Montag scheint der Mond, am Dienstag verdienst du Geld, am Mittwoch gibts, äh, immer Mittagessen, am Donnerstag auch noch Doughnuts dazu, am Freitag ist eben frei . . .“ – „Eben nicht.“ – „. . . am Samstag kann ich in Ruhe Pokémonkarten sammeln und am Sonntag den Sonnenschein genießen“, meint der inzwischen immerhin nicht mehr im Bett stehende Sohn und schaut mich strahlend an. „Gut, meinetwegen, das stimmt alles, bis auf den Freitag: Der ist morgen, und der ist nicht frei. Und drum leg dich jetzt bitte hin und schlaf!“ Danach ist es tatsächlich länger als zwanzig Minuten am Stück ruhig. Und die Pferde konnten hoffentlich auch schon einschlafen.

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