Randerscheinung: Wahrscheinlichkeitsrechnung

Es wird also wieder einmal gewürfelt in aller Herrgottsfrüh.

Während ich Frühstücksnachschub beschaffe, macht der Jüngste am Esstisch weiter. Ich höre die Würfel im Becher klackern, die fünf Spielsteine auf den grünen Filz kullern, danach ist es kurz ganz still. Als ich mich umdrehe, zeigt der Bub auf den Tisch und sagt: „Schau, ich habe eine Große Straße serviert.“ Dazu muss man zwei Dinge wissen: Serviert heißt beim Würfelpoker in einem Versuch (nicht in drei) gewürfelt, und das gibt doppelte Punkte. Und: Irgendwie ist es besonders schwierig, eine Straße (1, 2, 3, 4, 5 oder 2, 3, 4, 5, 6) zu schaffen, nur ein Grande (alle fünf Würfel gleich) ist ähnlich selten. Wobei ja die Wahrscheinlichkeit bei einem Wurf für jede Variante gleich groß sein sollte. Also wenn ich fünf Würfel werfe, sind fünf Fünfer gleich wahrscheinlich, wie dass etwas herauskommt, das gar nix gilt: z. B. 1, 2, 3, 4, 6. So hab ich das zumindest immer verstanden, damals, als ich in der Schule die Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht verstanden habe. Trotzdem kommt viel öfter nichts ­heraus als etwas sehr Gutes. Vielleicht hängt das aber auch nur mit der Erwartungshaltung zusammen. Egal, ich werde die Wahrscheinlichkeitsrechnung in diesem Leben höchstwahrscheinlich nicht mehr kapieren. Der Jüngste schaut mich also immer noch an und ich ihn und er wieder mich, und dann beginnt er mit den Augen zu rollen, wird fleckig im Gesicht, muss lachen und sagt: „Warum kann ich nicht lügen, ohne dass man es gleich merkt?“ Weil er hat natürlich die Große Straße nicht gewürfelt, sondern hinter meinem Rücken hingelegt. Ja, mit sieben Jahren kann man noch nicht lügen, ohne aufzufliegen. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings recht hoch, dass er das noch lernen wird.

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