Randerscheinung: Fest, flüssig, gasförmig

Die Pubertät ist schon ein merkwürdiger Aggregatzustand.

Müsste man ihn mit physikalischen Maßstäben beschreiben, wäre er wohl fest, flüssig und gasförmig zugleich. Der Mittlere steht in der Küche und versucht mit seiner Zunge seine Ellbogenspitze zu berühren. „Ihr glaubt gar nicht, wie schwer das ist“, sagt er, glaube ich zumindest, er unterbricht ja seine Versuche nicht, während er spricht. Als er sein Scheitern schließlich eingestehen kann, stellt sich die Frage, welchen Nachtbus er nehmen soll, um nach dem Weggehen wieder nach Hause zu kommen. Ihm schwebt der Bus um 3.45 Uhr vor. „Wann ist es eigentlich noch ein Nachtbus und wann schon der erste Frühbus?“, frage ich, um einmal vorsichtig das Gelände abzustecken. Darauf geht der Sohn zwar nicht ein, erklärt aber, warum der Bus davor, der um 1.15 Uhr, keinesfalls geht: „Wenn ich den in Heiligenstadt sicher erwischen will, muss ich schon kurz nach Mitternacht aufbrechen, da zahlt sich das ganze Weggehen ja nicht aus.“ Ich bringe Taxigeld in die Verhandlungen ein, das würde eine Option dazwischen ermöglichen, aber der Mittlere will nicht Taxi fahren: „Die Fahrer wollen immer reden.“ Um die Verhandlungen nicht ins Stocken zu bringen, schlucke ich den Vorschlag herunter, er solle eben das Gleiche tun, das er immer tue, wenn er nicht reden wolle, und eigentlich auch sonst meistens: die Ohren mit Musik verstöpseln. Nach einem kurzen Patt seufzen die Eltern, er solle halt den späteren Bus nehmen in Gottes Namen, und praktisch gleichzeitig der Sohn, dann nehme er halt den früheren Bus, wenn uns damit gedient sei. Wir schauen uns kurz an und er sagt: „Das macht es ja so schwierig: Ihr versteht mich so gut und ich euch.“ Ich komme übrigens nicht mit der Zunge zum Ellbogen. Sie?

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