Randerscheinung: Loslassen

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Der Flughafen um vier Uhr in der Früh hat schon an sich etwas Trostloses.

Leere Parkplätze, leere Taxistände, leere Check-in-Schalter, die paar Menschen total hektisch oder wie in Zeitlupe. Wenn aber der Mittlere mit Riesentrolley für ein halbes Jahr auf Auslandssemester über den Atlantik fliegt, dann wird das mit dem Trösten (ihn und vor allem uns) in dem Ambiente nicht leichter. Die Vertreterin der Austauschorganisation, die routiniert Taschentücher reicht, macht uns in diesem so intimen Moment befangen. Das ist aber offenbar genau die Absicht und verhindert, dass wir uns emotional total wegschmeißen. So blass und unglücklich, wie wir im ungnädigen Licht des Terminals ausschauen, sind wir dann doch nicht. Noch bliebe eine halbe Stunde Zeit, weil der Flughafen in der Früh auch deshalb so trostlos ist, weil man immer schon viel zu früh dort sein muss. Aber der Bub sagt, er gehe trotzdem schon rein, weil es ja nicht besser werde. Wir drücken ihn fest und lang. „Hab dich lieb“, „Pass auf“, „Hab’s lustig“ und wieder „Pass auf dich auf“.

Mehr als verabschieden kann man sich nicht, obwohl man für solche Momente gern etwas Besonderes zur Verfügung hätte. Loslassen heißt nun also die nächste Überschrift im dicken Buch des Elternseins. Und obwohl ich früher gedacht habe, die Kapitel „Schlafmangel“, „Alle gleichzeitig krank“ oder „Er ist un­­glück­lich und ich kann nichts tun“ wären an Herausforderung nur schwer zu überbieten, ahne ich, dass ich mich geirrt haben könnte, als der Sohn endgültig hinter der Sicherheitsabsperrung verschwindet. Man schaut den Kindern ein halbes Leben lang staunend beim Wachsen zu, und nur ganz selten, zum Beispiel in Flughafenhallen im Morgengrauen, merkt man dann: Man wächst schon auch ein ziemliches Stückerl mit.

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