Randerscheinung: Es geht ihm gut

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Nicht nur der mittlere Sohn ist für fünf Monate in ein unbekanntes Land aufgebrochen, sondern irgendwie auch wir, die wir daheimgeblieben sind.

Das Kommunikationsverhalten des auf Auslandssemester befindlichen mittleren Sohnes ist 6500 Kilometer entfernt auch nicht wesentlich anders, als wenn er oben in seinem Zimmer säße. Das ist auf der einen Seite wahnsinnig beruhigend, ausführliche E-Mails, regelmäßige WhatsApp-Nachrichten und – behüte! – Anrufe (egal welchen Inhalts) hätten nur bedeutet: Irgendetwas stimmt da nicht. Auf der anderen Seite dämmert uns langsam, dass nicht nur er für fünf Monate in ein unbekanntes Land aufgebrochen ist, sondern irgendwie auch wir, die wir daheimgeblieben sind. Der Jüngste, der gerade ausprobieren muss, wie es so ist, ein Einzelkind zu sein (er absorbiert das frei gewordene Drittel Aufmerksamkeit restlos), bekämpft seinen stillen Bruder-Kummer, indem er besonders viel Nägel beißt und sich sofort das unbenützte Zimmer unter den Nagel reißt. Samt einer neuen Regel für die Eltern: kein Eintritt mehr ohne Anklopfen.

Wenn auch eine Zimmertür und der Atlantik auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben, die Wirkung kann recht ähnlich sein. Ich jedenfalls schlafe nicht besonders gut. Einerseits warte ich mit einem Ohr auf Lebenszeichen vom anderen Kontinent (die Chance ist in der Nacht größer, weil da ist der Mittlere ja zumindest wach), gleichzeitig dröhnt die ungewohnte Stille aus dem leeren Zimmer gleich nebenan, in dem der Jüngste nun nicht mehr schläft. Außer sie wird übertönt vom Lärm des Ältesten, der in der Nacht herumgeistert und mit seiner vermehrten Anwesenheit zu Hause hilft, das Vakuum des Mittleren zu füllen – auch indem er den Kühlschrank für zwei leert. Inzwischen ist auch Nachricht aus Übersee eingelangt: Ladegerät für elektrische Zahnbürste vergessen, bitte rasch nachschicken. Es geht ihm gut! Es geht ihm gut!

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