Der Fall Sofia – neu erzählt

Doris Povse
Doris Povse Stanislav Jenis
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Doris Povse tauchte in Spanien unter, als ihr die Behörden ihre Tochter wegnehmen wollten, und kehrte im Privatjet von Frank Stronach zurück. Jetzt hat sie ein Buch darüber geschrieben.

Mit ihrem Buch „Nicht ohne meine Tochter“ ist Betty Mahmoody 1987 nicht nur ein Weltbestseller gelungen, sie hat mit ihrem verknappten, prosaischen Titel auch gleich eine Marke begründet. Für ein Genre, das man Mutter-Tochter-Drama nennen könnte und das mit einem Satz erklärt ist: Eine Mutter flieht mit ihrer kleinen Tochter vor ihrem gewalttätigen Mann– in aller Regel aus einem für sie fremden Land.

Mahmoodys Geschichte, die 1991 verfilmt wurde, dürfte hinlänglich bekannt sein: Die Amerikanerin lernt in den USA einen iranischen Arzt kennen, heiratet ihn, die beiden bekommen eine Tochter, Mahtab. Bei einem Iran-Urlaub beschließt der Mann plötzlich, in seiner Heimat zu bleiben, und hält seine Frau und Tochter zu Hause fest, schlägt und unterdrückt sie sogar. Eineinhalb Jahre dauert es, bis sie und Mahtab nach einer abenteuerlichen Flucht zurück in die USA gelangen.

Der Erfolg des Buchs bzw. des Films zog viele vergleichbare Geschichten nach sich – mit Titeln wie „Nicht ohne meinen Sohn“ oder „Nicht ohne mein Kind“. Besser gut kopiert als schlecht erfunden, dachte sich wohl auch Doris Povse und nannte ihr soeben erschienenes Buch „Nicht mit uns – Wie ich mit meiner Tochter untertauchte“. Auch um ihr (nicht ganz so dramatisches) Schicksal kam in Österreich in den vergangenen Monaten kaum jemand herum, dominierte der Fall Sofia doch die Titelseiten der auflagenstärksten Zeitungen.

Hier die Kurzfassung: 1995 wandert die damals 19-jährige Steirerin nach Italien (Udine) aus. Zehn Jahre später lernt sie einen Italiener kennen, weitere zwei Jahre später wird ihre gemeinsame Tochter Sofia geboren. 2008 folgt die Trennung, Povse flüchtet mit Sofia vor ihrem angeblich gewalttätigen Lebensgefährten nach Österreich, obwohl ihr das Jugendgericht Venedig auf Antrag des Vaters untersagt hat, mit dem Kind aus Italien auszureisen – was sie aber nicht gewusst haben will.

Nach einem langjährigen grenzüberschreitenden Sorgerechtsstreit trägt ihr das Bezirksgericht Wiener Neustadt im Juni 2013 auf, Sofia bis 7.Juli ihrem Vater zu übergeben. Povse ignoriert das Urteil und taucht mit ihrer Tochter zuerst in Österreich, dann in Spanien unter, versteckt sich dort in einem Haus, das ihr Bekannte organisiert haben. Im August setzt das Bezirksgericht die Vollstreckung der Rückführung des Mädchens überraschend aus. Die Obsorgeentscheidung soll beim Gericht in Venedig neu geprüft werden. Einen Tag später kehrt sie zurück nach Österreich – medienwirksam im Privatjet von Frank Stronach, der sich im Wahlkampf befindet.

Das Verfahren in Venedig ist nach wie vor anhängig. Die Chancen, dass das Mädchen bei seiner Mutter bleiben darf, stehen aber gut, da die Siebenjährige hier bereits zur Schule geht. Heute lebt Povse mit Sofia, ihrem dreijährigen Sohn Philip und ihrem Lebensgefährten in der Nähe von Wien und betreibt den von ihr gegründeten Verein Sofia zur Wahrung der Kinderrechte in Obsorgestreitigkeiten.


Mediale Inszenierung. An Selbstkritik spart Povse nicht, wenn sie im Rückblick über ihre Entscheidungen spricht. Vieles hätte so nicht sein müssen, bekennt sie. Der Flug in Stronachs Privatjet etwa, der ein „Wahlwerbe-Gag“ gewesen sei. Aber auch die Flucht nach Österreich und später nach Spanien sowie die Inszenierung ihrer Geschichte in den Medien im Stile einer brasilianischen Seifenoper. „Aber in einer Notsituation macht man Dinge, die man unter normalen Umständen vielleicht nicht machen würde.“

Das gelte für sie genauso wie für den „Kindsvater“, wie sie ihren Exfreund nennt. Er stehe mit seiner Tochter mittlerweile in regelmäßigem Kontakt, die Gemüter hätten sich wieder etwas beruhigt. „Ich hoffe jetzt, dass mir das Buch dabei hilft, all das, was mir widerfahren ist, zu verarbeiten“, erklärt Povse die Beweggründe, ihre Erfahrungen aufzuschreiben. „Ich neige nämlich zur Verdrängung. Bis heute kommt es mir manchmal so vor, als wären diese Dinge nicht mir, sondern jemand anderem passiert. So unwirklich erscheinen sie mir.“ Ihre Gedanken und Gefühle habe sie bereits während ihrer Flucht in Form eines Tagebuchs zu Papier gebracht, um sich den Frust von der Seele zu schreiben. „Daraus ist nun das Buch entstanden, das gleichzeitig auch einen Schlussstrich bedeuten soll.“

Von nun an will sie mit ihrem Verein betroffene Mütter und Väter dabei unterstützen und dazu ermutigen, sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu suchen, „damit sie nicht dieselben Fehler machen wie ich. Mit Mediation beispielsweise kann man viel erreichen und Eskalationen vermeiden.“

Eskalationen, die bei ihr auch zu Anfeindungen geführt hätten. Teilweise sei sie als jemand dargestellt worden, der die Tochter entführt und daraus ein Medienspektakel gemacht hat. Und der die Geschichte eines gewalttätigen Mannes nur erfunden habe, um die Flucht nach Österreich zu rechtfertigen. „Leute, die ich von früher kenne, haben mich plötzlich nicht mehr gegrüßt“, erzählt sie. „Aber das beschäftigt mich nicht weiter. Ich weiß, was ich erlebt habe. Es mag schwarze Schafe geben, aber für gewöhnlich erfindet keine Frau solche Vorwürfe. Oder zieht freiwillig in ein Frauenhaus, weil es dort so schön ist.“

Sie konzentriere sich jetzt lieber auf die Arbeit in ihrem Verein und sei dankbar für ihr neu gewonnenes Leben. „Mit meiner Familie genieße ich jeden Tag“, betont sie. „Ich habe das Gefühl, dass mir die Wochen der Flucht in meinem Leben fehlen. Es ist fast so, als wäre ich im Koma gelegen und jetzt wieder ins Leben zurückgekehrt.“

Neues Buch

Buch. „Nicht mit uns – Wie ich mit meiner Tochter untertauchte“ erscheint am heutigen Sonntag im Verlag edition a und kostet 19,95 Euro.

Person. Die 37-jährige Doris Povse schildert darin, wie sie mit ihrer Tochter Sofia zuerst von Italien nach Österreich flüchtete und sich später wochenlang in Spanien versteckte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2014)

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