Pierre Niney: "Er war auch ein kranker Mann"

GERMANY BERLIN FILM FESTIVAL 2014
GERMANY BERLIN FILM FESTIVAL 2014APA/EPA/JOERG CARSTENSEN
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Er war das jüngste Mitglied der Comédie-Française– und beeindruckt nun mit seiner Darstellung des Couturiers Yves Saint Laurent: Pierre Niney im Gespräch über Zeichenunterricht und das Gemüt der französischen Ikone.

Yves Saint Laurent zählte zur Mode-DNA Frankreichs. Die Karriere des Modeschöpfers war kometenhaft: Mit 21 Jahren wurde er zum Assistenten von Dior, nur knapp fünf Jahre später gründete er sein eigenes Modelabel. Im Biopic „Yves Saint Laurent“ zeichnet der französische Regisseur Jalil Lespert ein Porträt des manisch-depressiven und drogenabhängigen Modegenies. Der Herausforderung, diese Ikone wiederauferstehen zu lassen, hat sich der erst 25-jährige Theaterschauspieler Pierre Niney gestellt – und sie grandios bestanden. In Frankreich wird er seitdem als neuer Wunderknabe bestaunt, aber auch auf der Berlinale erntete Niney tosenden Applaus für seine Leistung.

Auf der Berlinale haben Sie oft wie ein Kind gewirkt, das das Getöse um seine Person mit größtem Staunen beobachtet. Ist Ihnen, dem Theaterschauspieler aus den heiligen Hallen der Comédie-Française, der Filmzirkus geheuer?

Pierre Niney: Ich habe mir schon als Kind oft Pressekonferenzen angeschaut und davon geträumt, auch einmal dort auf dem Podium zu sitzen. Das ging mir wohl durch den Kopf, als ich vor den Journalisten saß. Ich bin fasziniert von der medialen Aufmerksamkeit, die natürlich immer etwas Befremdliches hat – und sehr neu für mich ist.

Finden Sie es abstoßend, dass Filme sich präsentieren und verkaufen müssen?

Nein, für mich gehört das gerade bei so einem Film einfach dazu. Ich bin stolz, ihn der Öffentlichkeit zu präsentieren und ihn zu verteidigen.

Ist Film eine neue Welt für Sie?

Ich habe schon ein paar Filme gedreht. Dieser ist jedoch die erste Produktion, die auch über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt geworden ist. Ich habe viele Freunde im Filmgeschäft, die mich mit seinen Regeln vertraut gemacht haben, wie zum Beispiel Jean Dujardin. Ich mache gerade nur die erste praktische Erfahrung nach der Theorie.

Wie viel wussten Sie vor diesem Dreh über Yves Saint Laurent?

Nicht viel. Ich kannte die Brille, die schlaksige Figur und seinen Hang zum Perfektionismus. Es war von Vorteil, dass Mensch und Künstler für mich ein ziemlich unbeschriebenes Blatt waren. Ich hatte knapp sechs Monate Zeit für meine „Entdeckungen“: Ich habe mir Dokus über ihn angeschaut und Menschen getroffen, die ihn gut kannten, um möglichst viel von seinem Leben hinter den Kulissen zu erfahren. Ich hatte drei Coaches: Ich bekam Zeichenunterricht, um vor laufender Kamera skizzieren zu können. Ein Stylist hat mich mit dem Vokabular und den Codes der Modeszene vertraut gemacht, damit ich auch improvisieren konnte. Ein Fitnesstrainer hat mir breitere Schultern und eine männlichere Statur antrainiert, mit der wir Yves Persönlichkeitsentwicklung auch physisch sichtbar machten.

Haben Sie eine Affinität zu Mode, Designer und Haute Couture?

Nein. Als ich vor vier Jahren für einen César nominiert war, war ich noch völlig unerfahren in diesen Dingen. Meine Agentin fragte mich, was ich zu diesem Anlass tragen wolle: Dior, Balenciaga oder YSL. Ich habe gar nicht verstanden, was sie meint, ich wusste gar nicht, dass das ein Modelabel war. Ich dachte, das sei vielleicht eine Größe wie XXL.

Gab es einen Schlüssel, der Ihnen Zugang zur Person Saint Laurents verschaffte?

Ich habe große Sorgfalt auf seine Stimme verwendet, sie hat viel über ihn verraten: seine Stimmlage, seine Intonation, und wie bewusst er seine Worte auswählte.

Beneiden Sie diese Ikone um seine Kompromisslosigkeit?

Nein, ich wäre nicht gern wie er. Er war unbestritten ein Genie. Schon mit 17 Jahren wurde er zum besten Modezeichner aller Zeiten erklärt – egal, was man von ihm als Mensch hielt. Doch er war auch ein sehr kranker Mann. Die Intensität seiner Wahrnehmung war für ihn auch extrem anstrengend und oft schmerzhaft. Er fühlte sich immer beobachtet. Der Alltag war für ihn kaum zu ertragen. Um diese Verletzlichkeit und Labilität beneide ich ihn wirklich nicht. Gegen Ende seines Lebens war jeder Tag für ihn eine Tortur. Er war nur dann noch glücklich, wenn er zeichnete.

Karl Lagerfeld gehörte auch zum Inner Circle, bis Yves ihm einen Liebhaber ausspannte. Hatten Sie Kontakt zu Kaiser Karl?

Zu Karl selbst nicht, aber zu Betty Catrou, die über Jahre Saint Laurents Muse war. Sie hat so schillernd und detailliert von ihm erzählt, als könnte er jeden Augenblick den Raum betreten. Das hat mich sehr bewegt. Sie hat ihn ein wenig vom Thron gestoßen, was mir den Zugang erleichtert hat. Sehr oft habe ich mich auch mit Pierre Bergé getroffen, der über 50 Jahre mit ihm zusammengelebt hat. Er hat mir auch viele Anekdoten anvertraut.

Bergé gilt bis heute als Gralshüter von Saint-Laurents ideellem und finanziellem Nachlass. Bedurfte es eines finalen Abnickens von ihm, damit Sie YSL spielen durften?

Nein, er hat mich nicht ausgewählt. Lespert traf alle künstlerischen Entscheidungen allein, Bergé hat sich nicht eingemischt, hat uns nur wohlwollend unterstützt. Er wusste, dass wir ein großes, schönes Biopic vorhatten. Am Drehort hat er uns nur einmal besucht und war zu Tränen gerührt. Offenbar haben ihn die Erinnerungen überwältigt.

Sie waren der jüngste Schauspieler der Geschichte an der ehrwürdigen Comédie-Française. War Ihr Talent unüberschaubar?

Mein Wunsch, Schauspieler zu werden, kam schon mit zwölf Jahren auf, im Theaterunterricht der Schule. Wir lernten Maskenbildnerei, Improvisation, Clownauftritte. Ich war als Junge sehr energiegeladen und habe diese Energie dafür verwendet, Menschen Geschichten zu erzählen.

Sie haben eine immense Herausforderung bestanden. Hat der Erfolg Sie selbstsicher gemacht?

Nein. Der Zweifel ist für mich ein fester Bestandteil des kreativen Prozesses. Wenn du nicht an dir zweifelst, ist das fast ein schlechtes Zeichen.

Bis vor Kurzem war Ensemblemitgliedern der Comédie-Française das Spielen vor der Kamera rigoros untersagt...

Richtig. Aber jetzt stehen immer mehr Bühnenschauspieler vor der Kamera wie Laurent Lafitte, Michel Vuillermoz oder eben Guillaume Gallienne (er spielt Saint Laurents Partner Pierre Bergé, Anm.), der dieses Jahr mit seinem eigenen Film fünf Césars gewonnen hat und sogar an den Kinokassen ein unerwarteter Erfolg war. Ich finde die Brücke zwischen Theater und Kino gut. Vor sechs Monaten haben 30 junge Leute auf mich am Bühneneingang des Theaters gewartet und mir erzählt, dass sie zum ersten Mal ein Bühnenstück anschauen, weil ich ihnen im Kino so gut gefallen habe. Was will man mehr?

Hätten Sie YSL gemocht, wenn Sie ihm je begegnet wären?

Die Frage ist, ob er sich mir geöffnet hätte. Er war sehr mysteriös, schüchtern und hat nur wenige an sich herangelassen. Er konnte aber auch sehr humorvoll sein. Alle schwärmten davon, wie schnell und treffend er Leute imitieren konnte.

Haben Sie sich nach dieser Tour de Force in die Modewelt verliebt?

Vielleicht nicht in die Mode, sicher aber in die kreativen Köpfe, die Modegeschichte geschrieben haben, wie Dior, Balenciaga oder auch Hédi Slimane. Diese Jungs sind spannend, schon wegen ihrer Besessenheit, die man besonders backstage zu spüren bekommen hat. Ich nehme Mode jetzt anders wahr, weil ich weiß, wie viel Stress, Wissen und Können hinter der Haute Couture steckt. Diese Faszination hält auch nach Drehende bei mir an.

Was tragen Sie jetzt besonders gern?

Yves Saint Laurent natürlich. Und es steht mir, also warum nicht?

Steckbrief

1989
wurde Pierre Niney als Sohn eines Professors für Filmgeschichte in Paris geboren. Mit elf stand er erstmals auf der Bühne, mit 21 wurde er das jüngste Mitglied der Comédie Française.

2007
war er erstmals in einer Fernsehserie zu sehen, später auch in Filmen. 2012 und 2013 wurde er für einen César nominiert.

Seit Freitag
ist er als Christian Dior-Nachfolger Yves Saint Laurent im Kino zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2014)

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