Timmerberg: „Habe mir ein Märchen erlaubt“

Helge Timmerberg
Helge Timmerberg(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Reiseschriftsteller Helge Timmerberg erzählt von einer orientalischen Geschichte und seinem Lebenstraum. Ein Besuch in seiner Wiener Schreibstube.

Die Schildkröten, die sind schon bestellt. Zwei Tierärzte, sagt Helge Timmerberg, hätten ihm glaubhaft versichert, dass den Tieren kein Schaden drohe, wenn man ihnen kleine Lämpchen auf den Panzer montiert – ganz wie es die Sultane des Osmanischen Reichs bei ihren Festen zu tun pflegten. Auch Bauchtänzerinnen werden erwartet, wenn Deutschlands Gonzo-Journalist und Reiseschriftsteller am Donnerstag im Kunstraum „Im Ersten“ in der Sonnenfelsgasse zur Präsentation seines neuen Buches lädt.

Es ist die erste Lesung für dieses Buch, normalerweise erledige er die lieber in der Provinz, sagt Timmerberg und seufzt. Tage davor sei er da immer schon nervös, erklärt der Abenteurer, und da helfen dann auch weder die Meditationstechniken aus Indien, über die er leider nicht reden darf („das hab ich mal geschworen“), noch das Mantra aus dem Himalaya.

Am liebsten, sagt Timmerberg, wäre er ja längst in Persien, um der Aufregung zu entgehen. Dorthin soll seine nächste Reise führen, oder genauer gesagt, über Persien nach Indien: Im letzten Jahr ist Timmerbergs Vater gestorben und hat ihm seinen Mercedes vermacht. „Der ist immer nur dort gefahren, wo mein Vater wohnte, Papenburg, Emsland. Noch hinter Ostfriesland. Und da hatte ich sofort den Gedanken: Den bring ich um die Welt.“

Doch fürs erste ist da die Sache mit dem Buch. „Ich hab mir mal erlaubt, ein Märchen zu erzählen“, sagt Timmerberg. Eigentlich hätte es ja seine Lebensgeschichte werden sollen, sieben Kapitel hatte er schon geschrieben, und ein dickes wollte er der „Perlenkarawane“, seinem Lieblingsmärchen, widmen. Aber dann wurde ihm klar: „Das ist kein Kapitel, das ist das Buch.“

Timmerberg erzählt darin, orientalisch verschachtelt, von der deutschen Märchenerzählerin Elsa Sophia von Kamphoevener, die als Vierjährige um 1874 nach Istanbul kam, wo ihr Vater dem Sultan als Militärberater zur Seite stand. Später soll sie auf dem Basar den Märchen verfallen sein, habe sich als Mann verkleidet und in den Karawansereien die Tradition des Geschichtenerzählens erlernt. Jahrzehnte später, im Zweiten Weltkrieg, erzählte sie dieselben Märchen den deutschen Landsern, „damit ihnen das Sterben leichter fiel“. All das, sagt Timmerberg, habe ihn fasziniert. Weil Geschichten die Wurzeln aller Medien seien: „Ob Journalismus, Werbung, Spielfilme: Alle Medien funktionieren nur, weil Geschichten erzählt werden.“

Dazu die Lebensgeschichte dieser Frau: „Ich dachte, das ist mein Ticket nach Hollywood.“ Gelöst hat er es mehrmals mithilfe der „Perlenkarawane“: Dem Märchen, von dem man nicht planen konnte, es zu erzählen: „Es hüpfte raus oder nicht. Und wenn es raus hüpfte, haben mir die Frauen ihr Herz und die Männer ihr Geld geschenkt.“ Mehrmals in der Form von Vorschüssen für ein Drehbuch, das er bis heute nicht geschrieben hat.

Ein Märchen, seine Geschichte

Helge Timmerberg sitzt an seinem Schreibtisch in jenem geliehenen Arbeitszimmer in der Wiener Innenstadt, an dem er weite Teile des neuen Buches geschrieben hat. Ein weißer Schwedenofen, ein Sofa mit ein paar hingeworfenen, orientalisch anmutenden Pölstern, am Boden ein plüschener Tiger. „Eigentlich“, sagt er, „ist es meine Lebenstraumgeschichte.“

Es habe ihn ein bisschen schockiert, als ihm klar wurde, dass es ihm genauso ergangen war wie seinem Märchen-Helden. „Der hat einen Tagtraum und jeder, dem er davon erzählt, glaubt ihm, und er rückt immer höher bis zum Sultanspalast. Mir haben auch alle geglaubt. Es war, als hätte mich das Märchen gefressen: Unbewusst habe ich 20, 30 Jahre lang über große Teile das Leben dieses Märchenhelden geführt.“

Ob ihn Hollywood noch immer lockt? „Es ist ja nicht gesagt, dass ich da nicht noch lande, und viele Leute Geld verdienen und noch mehr von den türkischen Märchen hören“, meint Timmerberg. „Man darf nur nicht erwarten, dass man dann auf Wolken schwebt.“

AUF EINEN BLICK

Helge Timmerberg (62) wurde in Dorfitter in Hessen geboren und schrieb Reisereportagen aus aller Welt, u.a. für „Stern“, „Zeit“ oder „Playboy“. Bücher: „Tiger fressen keine Yogis“ oder „Der Jesus vom Sexshop“. Er lebt in St.Gallen und Wien. „Die Märchentante, der Sultan, mein Harem und ich“: Malik, 256 Seiten, 20,60 Euro. Timmerberg am 24. April: „Im Ersten“, 20Uhr. Reservierung: office@imersten.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2014)

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