Was nach der Sucht kommt

Laura Pape
Laura Pape Die Presse
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Laura Pape war magersüchtig und hat ihre Krankheit überwunden. In einem Buch will sie anderen Mut machen und zeigen: Man kommt da auch wieder raus.

Laura Pape will anders sein. Anders als die Person, die sie jeden Tag im Spiegel sieht. Mit ihren zu dicken Beinen, dem Bauch, der beim Sitzen über die Hose hängt, und dem etwas zu runden Gesicht.

Laura Pape ist 17, als sie beschließt, ihr Leben zu ändern. Zumindest ein bisschen. Mit ihrer Freundin Shelly vereinbart sie eine Wette. Wer zuerst 59 Kilo hat, gewinnt. Sie selbst wiegt zu diesem Zeitpunkt 67 Kilo bei einer Größe von 1,71 Metern. Es ist der Anfang einer Zeit, in der nur mehr die Kalorien ihr Leben bestimmen werden – und das ihrer Freunde und Familie.

Und es geht schnell, vielleicht weil Laura Pape so selbstzerstörerisch die Diät beginnt, dass selbst diäterprobten Menschen schaudert. Innerhalb weniger Tage reduziert sie ihren Kaloriengehalt auf unter 1000 Kalorien. Sie ersetzt ihre Mahlzeiten durch Diätdrinks, isst dazwischen nur mehr ein bisschen Salat, dafür rennt sie jeden Tag ins Fitnessstudio. Innerhalb kurzer Zeit hat sie acht Kilo weniger. Und nimmt sie auch ebenso schnell wieder zu.

In ihrem Heißhunger stopft sie alles, was sie findet, in sich hinein. Fastfood, Süßigkeiten. Es schmeckt ihr – aber nicht lang. Denn als die Mutter einer Freundin nebenbei bemerkt, dass Laura wieder zugenommen habe, will sie es allen zeigen. Und dieses Mal lässt sie die Magersuchtspirale nicht mehr los. Von Woche zu Woche nimmt sie weniger zu sich. Einen halben Apfel zum Frühstück, die andere Hälfte zum Mittagessen, am Abend eine Gurke.

Freunde und Familie bemerken ihren Sinnenswandel und können doch nichts tun. Bis Laura Papes Mutter sie in eine Klinik bringt. Da wiegt ihre Tochter nur noch 47 Kilo und ist ein Wrack. Sie hat 21 Kilo in fünf Monaten abgenommen, ernährt sich zum Teil von unter 300 Kalorien am Tag. Die Haare sind jetzt ganz dünn, die Regel ist ausgeblieben, sie friert die ganze Zeit, ihre Finger sind so knöchern, dass sich ihr Stiefvater ekelt.

Laura Pape hat all das in ihrem Buch „Lebenshungrig“ aufgeschrieben. Den schonungslosen Kampf mit sich selbst, den sie anfangs ständig verliert, bis hin zu den glücklichen Momenten, als sie es endlich – im letzten Kapitel – schafft, sich aus der Sucht zu befreien. Das letzte Kapitel ist für Pape auch das wichtigste. „Ich wollte anderen Mut machen und auch die Angehören aufklären, was für eine Krankheit das überhaupt ist“, sagt die junge Frau mit den blonden Haaren, die an einem heißen Sommertag selbstbewusst an einem Tisch sitzt. Schlank ist sie, aber sie wirkt völlig gesund. „Es gibt halt nur Bücher zu dem Thema, die negativ enden, und ich dachte, ich schreibe jetzt das Buch, das anders endet. Weil wenn man Magersuchtbücher als Betroffene liest, dann ist das nicht so motivierend, wenn die Protagonistin ständig rückfällig wird. Dann ist man selbst nicht mehr motiviert, gesund zu werden.“ Laura Pape will es anders machen.

In drei Kapiteln schildert sie ihre Krankheit. Im ersten, wie sie als durchschnittliches Mädchen in den Abnehmwahn schlittert – früher hatte sie noch von sich behauptet, nie magersüchtig werden zu können. („Ich habe immer viel zu gern gesessen.“) Sie möchte zwar irgendwie essen, kann aber nicht, weil eine Barrikade in ihr es ihr verbietet.

Ärztin sieht kein Problem. Aufgelockert wird das Ganze durch Perspektivenwechsel. Papes Mutter, der Stiefvater, die Freundinnen, die Oma, die rückblickend ihre Ohnmacht beschreiben. Ihre Mutter geht sogar mit ihr zu einer Ärztin, die signalisiert aber nur: Eh alles in Ordnung. Ihre Tochter hat zu diesem Zeitpunkt Kleidergröße 32. Und die sitzt noch locker.

Als Laura Pape 47 Kilo hat, bringt sie ihre Mutter in die Psychiatrie. Dort beginnt Kapitel zwei. Und ein seltsamer innerer Kampf des Mädchens, der einerseits zeigt, dass sie gesund werden will – und anderseits erklärt, wie sie sich selbst dabei sabotiert, indem sie etwa das Klinikessen auf den Boden krümelt, Salat hinter dem Vorhang versteckt und hinter dem Gartenhäuschen joggt, um Kalorien zu verbrennen.

Es sind die Gespräche mit ihrem Stiefvater, die sie schließlich wieder zurückbringen. Er schafft es, die Wand einzureißen, die Pape um sich aufgebaut hat. „Magersucht wird ja manchmal so dargestellt, als gehe es nur ums Essen und darum, extrem mager zu werden. Da werden aber die psychiatrischen Hintergründe ausgeblendet“, sagt sie. „Man nimmt nicht ab, weil man dünn sein will. So fängt es zwar an, aber es ist nicht der eigentliche Grund.“ Bei Pape waren es rückblickend das fehlende Selbstbewusstsein und die Tatsache, dass sie ihren Platz im eigenen Leben (damals) noch nicht gefunden hat. „Und beim Abnehmen hab ich gewusst, das kann ich gut“, sagt sie. Ein Streben nach Perfektion in einer unkontrollierbaren Welt. Sie selbst rät Eltern von Magersüchtigen, sich dem Thema nicht über das Essen zu nähern. „Ich würde nicht sagen: ,Iss doch mehr‘, sondern fragen: ,Ich hab gemerkt, dir geht's nicht gut, willst du reden?‘“ Hilft das nicht, sollte man professionelle Unterstützung suchen. Doch auch die ist kein Garant für eine Heilung. Pape hat ihre Krankenhauskolleginnen immer wieder rückfällig werden sehen.

Bei ihr sind es zwei Schlüsselerlebnisse, die sie wieder auf den richtigen Weg gebracht haben. Ein Mädchen, das so verhungert und fertig ausgesehen hat, dass Pape (entgegen bisherigen Angewohnheiten) nicht so sein wollte wie sie. Und ihr Stiefvater, der ihr droht, wenn sie noch einmal unter 52 Kilo habe, müsse sie ausziehen. „Deine Mutter und ich sehen uns dieses Elend nicht mehr länger mit an.“

Ab diesem Moment legt sich ein Schalter um, und sie will wieder glücklich sein. Sich so wie alle anderen Teenager in ihrem Alter fühlen. Sie ist nun 18 Jahre alt, hat ihr Abitur versäumt und ein halbes Jahr auf der Psychiatrie verbracht.

Sie beschließt, ihre Sicht auf sich selbst zu ändern und ab sofort vernünftig zu sein. Es funktioniert einmal besser, einmal schlechter, aber schlussendlich hat sie wieder einen Body-Mass–Index von 19 bis 20. Geschafft.

Sie beginnt eine Ausbildung in einem Verlag, hört mit dem Kalorienzählen auf und fängt an, das Buch zu schreiben. Mittlerweile ist sie 20 Jahre alt und bezeichnet sich als gesund. Ob sie Angst vor einem Rückfall hat? Pape verneint. „Ich hab jetzt andere Sachen, die mir in meinem Leben so viel wichtiger sind. Das Schreiben, meine Freunde, das Arbeiten“, sagt sie. Laura Pape will jetzt anders sein.

Lebenshungrig

„LebenshungrigMein Weg aus der Magersucht.“
Von Laura Pape, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin, 238 Seiten, 10,30 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2014)

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