„Man braucht nicht nur Prada“: Russische Mode im Zentrum

Lena Kvadrat
Lena Kvadrat(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Einst war sie Vorreiterin in Neubau, jetzt zieht die Russin Lena Kvadrat auch in die City. Und plädiert dafür, sich von sich selbst ein neues Bild zu machen.

Jedes Jahr kreiert Designerin Lena Kvadrat zwei Kollektionen. Beide stellt sie unter einen gemeinsamen Titel – und zu jedem gibt es einen Essay. Darin geht es etwa um Dandyism oder das Konzept der Uniform. „Escapism“ hieß die letzte Kollektion. „Es geht darum, aus dem virtuellen Raum wieder in die Realität zu entkommen“, sagt Lena Kvadrat. Und auch darum, sich von seinen falschen Vorstellungen zu lösen. „Ich bin dick“ – so etwas gibt es bei ihr nicht.

So sehr die russische Designerin über ihre Arbeit nachdenkt und mit soziokulturellen Theorien unterfüttert, so unkompliziert geht sie sie an. „Ich versuche, die Leute von ihrer Negativität wegzubringen“, sagt die Gründerin des Labels Art Point. Gern mit einem sicheren Griff zu einem Stück, das passt.

Kvadrat sitzt in ihrem Geschäft in der Wiener Neubaugasse, zwischen Ständern und weißen Kuben, die an Museen erinnern. Seit 2010 residiert sie hier, davor war sie in der Westbahnstraße. 2002 hat sie begonnen, war eine der Pionierinnen im siebten Bezirk. „Gut, dass ich damals die Leute nicht verstanden habe, die gemeint haben, ich sei verrückt.“ Heute spricht sie fließend Deutsch und will wieder etwas Neues wagen, zumal ihr die Umstände gelegen kommen. Seit der Vorwoche gibt es ihr Label Art Point auch in der Innenstadt. Kati Koller, eine gebürtige Ungarin, die in Wien mehrere Geschäfte führt, widmet ihm am Bauernmarkt ein Geschäft. Um die Ecke, in Kollers Laden auf der Brandstätte, wird es Art Point zudem als eines von mehreren Labels geben. „Eine Stadt“, sagt Lena Kvadrat, „lebt nicht nur von Gucci und Prada.“

Im Gegenteil, sie brauche Pole. Zumal, und da sind wir wieder bei einem kleinen Exkurs, der Mensch bei Kleidung nicht nur physische (Schutz) und materielle (Status) Bedürfnisse habe, sondern auch ein intellektuelles. „Dass man nicht nur seinen Körper, sondern auch seine Gedanken präsentiert.“ Trägt man eine Louis-Vuitton-Tasche, eine besprühte Version davon – hat man so viel Geld, dass man sich schon wieder Normalität leisten kann? Oder etwas ganz anderes? „Wer unsere Sachen trägt“, glaubt Kvadrat, „fängt an, anders zu denken.“

Dazu will sie auch ihre Kunden animieren. „Es geht nicht darum, ob ich mit meinem Körper zu einer sozialen oder einer Altersgruppe passe. Es geht darum, wie ich mich fühle, was ich ausprobieren will.“ Mit 48 Jahren, punkigem Haarschnitt, jugendlicher Figur und einer weichen Stimme ist sie die lebende These für eine Frau, die sich in kein fertiges Rollenbild fügt. Ihre Kundinnen denken offenbar ähnlich. „Eine von ihnen, eine Schriftstellerin, ist mittlerweile 80.“

Schal mit Kragen und Manschetten

Unkonventionell sind auch Kvadrats Entwürfe. Typisches Stück ist ein Schal mit Kragen und Manschettenknöpfen, der mit der Tradition der Wechselkrägen spielt. Kvadrat kann viel darüber erzählen. Auch über die Garderobe als Hort der Erinnerungen oder über den Verkaufsprozess (größtes No-go sei der Verkäuferinnensatz: Wie kann ich Ihnen helfen? „Wenn ich das höre, will ich die unschuldige Frau boxen“).

Falsch sei übrigens auch die Vorstellung von Wien: „Es wird immer geschrieben, Wien sei nicht Paris oder New York.“ Das sei zu negativ – und gehe ins kollektive Gedächtnis über. „Dabei machen die Designer Umsätze!“ Außerdem sei es gut, dass Wien modisch ein bisschen im Schatten liege. „In Tokio oder New York können die Leute gar nichts anderes machen als einzukaufen. Hier kann man auch einfach in den Himmel schauen, gutes Wasser trinken und das Leben genießen.“

ZUR PERSON

Lena Kvadrat (48) führt in Wien das Label Art Point. Kvadrat ist in der ehemaligen Sowjetunion geboren, kam vor 15 Jahren das erste Mal nach Österreich und hat hier ihren Mann kennengelernt. Ihr Stammgeschäft ist in der Neubaugasse 35. Seit vergangener Woche gibt es ihre Mode auch am Bauernmarkt 11–13 in der Innenstadt. Sie verkauft u.a. auch nach Japan und Kanada. artpoint.eu

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2014)

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