Leihmutterschaft: Die Mütter anderer Kinder

THAILAND AUSTRALIA SURROGATE BABY GAMMY
THAILAND AUSTRALIA SURROGATE BABY GAMMYAPA/EPA/RUNGROJ YONGRIT
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Der Fall von Baby Gammy hat die Debatte um die Leihmutterschaft neu entfacht. Die meisten Paare wenden sich an Länder wie Ukraine und Indien.

Gammys Herz ist Grund zur Sorge. Der kleine Bub wurde mit einem Herzfehler geboren, und die kürzlich erlittene Lungenentzündung hat Gammy – er ist ein halbes Jahr alt – noch mehr geschwächt. Seine Mutter brachte ihn in eine Klinik bei Bangkok, die Behandlung war langwierig, aber Gammys Herz, sagte kürzlich eine Sprecherin der Klinik, sei nun in einem „starken und guten Zustand“. Die Medikamente und Gammys Krankenhausaufenthalt wurden durch Spenden aus aller Welt, vor allem aber aus Australien, ermöglicht. Dort sollte Gammy ursprünglich auch leben und aufwachsen.

Gammy hat Downsyndrom

Und seine Mutter ist nicht seine Mutter. Ein australisches Paar hat die Thailänderin Pattharamon Januba (21) „engagiert“, um ihr Baby auszutragen. Es wurden Zwillinge, und der Leihmutter zufolge hat das Paar das gesunde Baby bei sich aufgenommen, den kranken Gammy aber bei Januba gelassen. Der Fall, der erst durch einen Bericht in der Lokalzeitung bekannt wurde, hat international für Empörung gesorgt. Die leiblichen Eltern Gammys haben sich bisher nur zögerlich den Vorwürfen gestellt. Am heutigen Sonntag wollen sie vor die Presse treten.

Was hat Pattharamon Januba dazu getrieben, die Kinder fremder Menschen auszutragen und sie ihnen nach der Geburt in die Hände zu geben? Geld. Januba und ihr Mann sind verschuldet, für die Leihmutterschaft sollte sie – die Angaben darüber variieren – mehrere tausend Euro bekommen. Wie bei Januba stehen vermutlich bei etlichen anderen Frauen, die sich für eine Leihmutterschaft zur Verfügung stellen, die finanziellen Beweggründe im Vordergrund. Von Armut betroffen, stellen sie ihre Körper für jene Paare zur Verfügung, die selbst keine Kinder bekommen können.

Neue Familienmodelle

Leihmutterschaft ist ein öffentliches Tabuthema, zumal sie in vielen Ländern verboten ist. Die meisten Paare mit Kinderwunsch wenden sich an Vermittlungsagenturen in Indien, der Ukraine, aber auch in Russland, Thailand und den USA. Im Gegensatz zu Adoptionen wird hier das „eigene“ Kind ausgetragen, die befruchtete Eizelle der leiblichen Eltern also einer fremden Gebärmutter eingepflanzt. Dafür sind Eltern bereit, bis zu 100.000 Euro auszugeben, in der Ukraine etwa ist es günstiger. Das meiste Geld dürfte in die Behandlung, vor allem aber in die Agenturen fließen.

Wenn Georg Freude Anfragen über Leihmutterschaft bekommt, dann leitet er den Interessierten die Adressen von Instituten in Spanien und den USA weiter. Freude ist Arzt in Wien und Präsident der Österreichischen IVF-Gesellschaft (für In-vitro-Fertilisation). Noch vor fünf Jahren hat er drei bis vier Anfragen im Jahr zur Eizellenspende erhalten, nun seien es drei bis vier im Monat. Daher werde auch die Nachfrage nach der Leihmutterschaft steigen, glaubt Freude – wenn auch nicht so viel wie bei der Eizellenspende; die meisten Betroffenen hätten eine beschädigte oder keine Gebärmutter, und das komme nicht so häufig vor wie nicht funktionsfähige Eizellen.

Aber die sich stetig verändernden Familienmodelle, etwa, dass homosexuelle Paare auch durch Leihmutterschaft ihren Kinderwunsch erfüllen wollen, sollten dazu führen, dass die Gesetze klar, und vor allem besser geregelt sind, sagt Freude. Während er in Österreich für eine Eizellenspende oder Leihmutterschaft andere Institute im Ausland empfehlen kann, ist in Deutschland selbst die Empfehlung strafbar. Im Fall der Leihmutterschaft bewegen sich die Betroffenen oft in der Illegalität, und vor allem für die Leihmutter kann die Lage prekär sein.

Nicht zu unterschätzen sind auch die psychologischen Folgen, sagt Freude. Vor allem dann, wenn die Leihmutter auch Eizellenspenderin, also genetisch mit dem Baby verbunden ist. In jedem Fall solle eine Leihmutterschaft nicht ohne psychologische Betreuung stattfinden. Es gibt Fälle, in denen die Leihmutter das Kind doch nicht abgeben möchte. Dabei ist die rechtliche Situation in vielen Ländern klar: Die Frau, die das Kind auf die Welt bringt, ist automatisch die Mutter – auch wenn sie mit dem Baby genetisch nicht verwandt ist. „Hier muss man eine Lösung finden“, sagt Freude. Und: „Im Zweifelsfall für die Leihmutter.“

Ermittlungen gegen Vater

Positiv konnotierte Berichte über Leihmutterschaften tauchen oft dann in Medien auf, wenn die Geschichten von bekannten Persönlichkeiten publik werden: Elton John, Nicole Kidman, Sarah Jessica Parker oder Ricky Martin sind durch Leihmütter Eltern geworden. Der Fall von Gammy hingegen zeigt auf, wie es vermutlich vielen anderen Betroffenen geht: Januba hat beschlossen, Gammy bei sich aufzunehmen. Sie habe ihn schließlich neun Monate in ihrem Bauch getragen, erzählt sie. Freilich spielen Emotionen eine Rolle.

Gammy hat auch weltweit die Debatte um Leihmutterschaften neu entfacht, australische Behörden haben mit den Ermittlungen gegen das Paar begonnen. Medienberichten zufolge soll der biologische Vater 56 Jahre alt und bereits vorbestraft sein – wegen sexuellen Missbrauchs von drei Mädchen. Als Januba davon hörte, gab sie an, dass sie auch Gammys Zwillingsschwester bei sich aufnehmen würde.

Das australische Paar bestreitet, das Baby absichtlich in Thailand gelassen zu haben: Man habe ihnen gesagt, dass Gammy todkrank sei und nur mehr einen Tag zu leben habe. Dem widerspricht die Leihmutter: Der Vater habe nach der Geburt beide Babys nebeneinander liegen sehen, sich aber nur um das gesunde Mädchen gekümmert. Zudem hätten alle Beteiligten bereits während der Schwangerschaft von Gammy und dem Downsyndrom gewusst. Einer Abtreibung habe Januba aber nicht zugestimmt.

Zur Person

Georg Freude ist Arzt und Präsident der Österreichischen IVF-Gesellschaft (In-vitro-Fertilisation). Bei Eizellenspenden arbeitet er mit einem Institut im tschechischen Brünn zusammen, bei Leihmutterschaften leitet er die Interessenten an Institute in den USA und Spanien weiter. Freude führt das Kinderwunschzentrum Gynandron in Wien Meidling. Clemens Fabry

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2014)

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