"Ich war in Kabul viel freier als später in Innsbruck"

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Heide Amato-Koller lebte als Kind in den Fünfzigern in Afghanistan. Nun schildert sie ihre durchaus schönen Erinnerungen in einem Buch.

Es ist ein heißer Nachmittag in der afghanischen Botschaft in Wien. Der kleine Saal, geschmückt mit Kristallleuchtern und goldbraunen Vorhängen, füllt sich mit unterschiedlichsten Gästen - mit Männern in feinen Anzügen und Frauen mit Kopftüchern oder dunkler Langhaarfrisur. Eine etwas nervös wirkende grauhaarige Frau mit vielen Papiertüten in der Hand sticht aus dieser Menschenmenge hervor. Sie setzt sich zwischen den afghanischen Gesandten und den Botschafter hin und legt ein Buch auf den Tisch.

Fast 60 Jahre nach ihrer Kindheit in Kabul beschloss die Tirolerin Heide Amato-Koller ihre Erinnerungen in einem Buch zu verarbeiten. In der afghanischen Botschaft stellt die 72-Jährige „Kindheit in Kabul" erstmals vor. „Uns ist es wichtig, dass dieses Buch gerade zur Zeit großer Transformation von Afghanistan erscheint", sagt der Botschafter Ayoob M. Erfani. „Wir sind froh, dass man über Afghanistan auch Positives hört, wie im Amato-Kollers Werk. Das sollte noch mehr gefördert werden."

Dann beginnt die Autorin mit ein wenig unsicherer Stimme aus ihrem Buch zu lesen. „In Hall, unserem kleinem Dorf in Tirol,hat damals kaum jemand von Afghanistan gehört", erinnert sie sich. „Sogar Lehrer konnten mir keine Auskunft über dieses Land geben."

Das Buch umfasst mehrere Geschichten aus der Perspektive eines Kindes, als auch Briefe und Fotografien, die ihr Vater aufgenommen hat. Auch die wichtigsten historischen Ereignisse jener Zeit werden im Buch prägnant dargestellt. Das 100-seitige Werk erschien heuer im März im Eigenverlag. Beim Schreibprozess sei der anwesende „Ghostwriter" Mario Jandrokovic eine große Hilfe gewesen.

Angefangen hat die Geschichte mit der Bewerbung ihres Vaters für eine Stelle in Kabul. „Als Gymnasiallehrer hatte er in Tirol keine großen beruflichen Aussichten gehabt. Nach halbjährigen Vorbereitungen reisten wir endlich ab. Vom Mailand nach Karatschi mit Propellerflugzeug, dann quer durch Pakistan mit Zug, schließlich mit dem Auto über Chaiber- Pass nach Kabul." Die langwierige Reise, auf der sie Nomadenvölker, Oasen und eine unerträgliche Hitze begegnet sind, klingt wie eine exotische Erzählung aus Tausendeine Nacht.

Ein Schaf auf der Ladefläche

In Afghanistan konnten sie jedoch nicht alleine herumreisen. Amato-Koller beschreibt den einzigen Ausflug, den sie mit ihrer afghanischen Freundin machen durfte als die beeindruckendste Erinnerung jener Jahre. „Durch den Kontakt mit meiner netten afghanischen Freundin konnte ich vom Alltag von einer Kabuler-Familie mehr miterleben als meine Eltern. Eines Tages durfte ich Isturei begleiten, als sie mit ihren Verwandten einen Ausflug in die Kabuler Umgebung machte. Ich staunte nicht schlecht, dass sich auf der Ladefläche des Autos auch ein Schaf befand...."

Ab und zu unterbricht sie sich entschuldigend und sagt, sie wird wirklich nur noch einen kurzen Aufsatz lesen. Später, in einem ein wenig privateren Gespräch, erklärt sie, das sei ihr erstes Buch. „Das Publikum ist für mich etwas ganz Neues. Ich bin gar nicht an diese Aufmerksamkeit gewöhnt!" Nachdem sie das Buffet mit afghanischen Spezialitäten eröffnet und sich die meisten Gäste neugierig um das Essen drängeln, darf sie sich wieder auf dem Sofa im Büro des Botschafters niederlassen.

Auf die Fragen, welche Sprache sie in Afghanistan gelernt hat und wie viel Kontakt sie mit den Einheimischen hatte, antwortet sie lächelnd: „Ich war in einer kleinen deutschen Privatschule, in der Deutsch und Englisch unterrichtet wurden. Wie gesagt, habe ich nur eine afghanische Freundin gehabt. Alles andere über Afghanistan und seine Einwohner habe ich von meinen Eltern erfahren." Obwohl sie nicht wirklich reisen durften, verbindet Amato-Koller sehr positive Erinnerungen an jene Zeit. Es sei in den Fünfzigern für Frauen viel einfacher gewesen in die Schule zu gehen, zu studieren und in Kabul ohne männliche Begleitung Spaziergänge zu machen. „Ich war viel freier wie später in der Ursulinenschule (Anm.: Mädchengymnasium) in Innsbruck", sagt sie schmunzelnd.

Die Frage, warum sie später nie mehr in Afghanistan war, kann sie sich selbst nicht beantworten. Zurzeit wäre es ihr aber zu gefährlich: Ich würde zwar natürlich gerne wieder nach Afghanistan fahren und das Land so sehen, wie es jetzt ist. Aber ich habe zu viele Bedenken", sagt Amato-Koller und meint damit prekäre Sicherheitslage im Land. Afghanistan wünsche sie jedenfalls nur das Beste.

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