Bettina Balàka: "Hätt' ich doch was Vernünftiges gemacht!"

Bettina Balàka
Bettina Balàka (c) Tizza Covi
  • Drucken

Die österreichische Autorin Bettina Balàka erzählt in ihrem neuen Roman "Unter Menschen" von der Odyssee eines kleinen Hundes. Mit der "Presse am Sonntag" sprach sie über die Vorzüge, eine eigene Dynastie zu gründen.

In Ihrem neuen Roman, „Unter Menschen“, ist ein Hund Protagonist. Wie kam es zu der Idee?

Bettina Balàka: Die Idee ist bereits in meiner Jugend entstanden. Es gibt in der österreichischen Literatur ein ganz großes Hundebuch, „Krambambuli“ von Marie von Ebner-Eschenbach, das 1883 erschienen ist. Das Faszinierende daran ist, dass es empathisch mit dem Hund geschrieben ist. Das heißt, man versteht den Hund total, und die Menschen kommen einem komplett wahnsinnig vor. Das war bahnbrechend für die Zeit. Der nächste war Jack London 1903 mit „Ruf der Wildnis“ und „Wolfsblut“, die ebenfalls aus der Perspektive des Hundes geschrieben sind. Ich wollte immer auch so etwas schreiben. Es gibt ja die andere Methode, bei der Hunde vorkommen als verkleidete Menschen, die im Grunde menschliche Gedankengänge haben. Das ist auch witzig, aber ich wollte den Hund wirklich als eigene Spezies sehen. Und da wir heute so viel über Hundepsychologie wissen wie nie zuvor, kann man da jetzt mal etwas Neues darüber schreiben.

Haben Sie sich wirklich angeschaut, was die Verhaltensforschung über Hunde sagt?

Genau. Ich habe zwei Jahre lang intensiv recherchiert und mich mit dem Thema beschäftigt. Zufälligerweise ist gerade Wien ein Zentrum der aktuellen Hundeforschung. Aber die Recherche ging eigentlich schon vorher los. Ich hatte zwei Jahre lang nach einem Hund gesucht und alles über Hunde gelesen. Vor drei Jahren habe ich ihn dann bekommen.

Zwei Jahre nach einem Hund gesucht?

Ja, das ist ja eine Lebensentscheidung, das ist wie die Partnersuche. Man nimmt nicht den Erstbesten. Ich war regelmäßig im Tierheim. Wir sind immer mit leeren Händen zurückgekommen.

Beim jetzigen wussten Sie dann: Der ist es?

Den hat meine Tochter im Internet gefunden. Er war von einer ungarischen Tierschutzorganisation und drei Monate alt, aber schon stubenrein. Ich wollte einen Hund, der problemlos wandern geht und nicht müde wird. Das ist auch Teil der Arbeit – beim Am-Schreibtisch-Sitzen kommt ja immer gern die berühmte Blockade, und ich muss dann gehen. Und im Gehen löst sich die Blockade. Ich habe die Hälfte meiner Bücher auf der Straße oder im Wald geschrieben. Da ist der Hund dann ideal.

Also hat der Hund quasi mitgeschrieben am Roman.

Absolut, ich bezeichne ihn als Schriftsteller-Assistenzhund. Er fungiert einerseits als Begleiter für das lange Gehen, andererseits ist das Schreiben an sich ein extrem einsamer Job, weil man allein sein muss. Es ist sehr angenehm, ein Wesen zu haben, das anwesend ist, aber nichts sagt. Der schaut mich bewundernd an und findet mich immer toll. Das bietet kein Mensch.

Man erfährt in Ihrem Buch fast mehr über die Menschen, die mit dem Hund Berti zu tun haben, als über den Hund selbst. Kann man Menschen porträtieren, indem man sich ihre Haustiere ansieht?

Man kann Menschen sehr gut einschätzen im Umgang mit ihren Haustieren. Es gibt zum Beispiel Menschen, die gern über die Biografie ihres Hundes fantasieren. Gerade wenn man den Hund aus dem Tierschutz hat. Der Hund kann ja nie erzählen, was er erlebt hat. Aber der Mensch will immer Geschichten haben, der hat ein narratives Bedürfnis. Wenn Menschen über ihre Hunde fantasieren, kann man schließen, dass sie auch im Umgang mit Menschen wenig zum realistischen Einschätzen neigen.

Wenn man sich die Interaktion zwischen Hund und Mensch in „Unter Menschen“ ansieht, wirkt der Hund am Ende immer gelassener, pragmatischer, auch schlauer als das Herrchen. Was können wir von Berti lernen?

Schon das Hundetraining ist eigentlich Menschentraining. Das Erste, was man lernt, ist, sich selbst besser unter Kontrolle zu haben: Gestik, Körpersprache, Stimme. Ich habe festgestellt, dass ich mittlerweile viel Körpersprache im Alltag einsetze. Viele Leute schicken ihre Kinder einfach: Geh, da ist ein süßer Hund, streichle den. Was ja total gefährlich ist. Und für den Hund ist das ungefähr so angenehm, wie wenn jemand zum Menschen kommt und ihm den Kopf streichelt. Wir schätzen das ja auch nicht in der U-Bahn oder so. Ich stelle mich dann einfach vor den Hund und mache eine Blockade. Das heißt, ich verhalte mich wie ein Hund.

War es eine bewusste Entscheidung, Schriftstellerin zu werden, oder hat sich das langsam ergeben?

Das war ganz konkret an einem bestimmten Tag in der Volksschule. Da wurden wir aufgefordert, Gedichte zu schreiben, und ich habe meine dann vorgelesen. Die Lehrerin hat gesagt: Du hast das Zeug zum Schriftsteller. Ich bin dann von der Schule nach Hause gegangen und habe mir gedacht, das ist eine geniale Idee, das mache ich jetzt! Natürlich war es dann nicht so leicht, wie ich mir das mit acht, neun Jahren vorgestellt habe.

Haben Sie je an dieser Entscheidung gezweifelt?

Solange ich in der Schule war, war mir der Erfolg ja gesichert – im Deutschunterricht, und ich habe auch schon die ersten Preise gewonnen. Dann kommt natürlich das große Loch. Mein 30. Geburtstag war wahnsinnig traurig. Ich hatte da schon Bücher veröffentlicht und war vollkommen pleite. Meine Studienkollegen haben alle schon Häuser gebaut, Wohnungen gekauft. Es ist dann zäh, aber doch aufwärts gegangen. Ich zweifle immer wieder: Hätt' ich doch etwas Vernünftiges gemacht! Mit zunehmendem Alter wird es aber schwieriger, noch etwas Vernünftiges zu machen.

Woran schreiben Sie jetzt?

Das nächste Buch ist schon in Arbeit. Da beschäftige ich mich mit Esoterik. Ich habe da schon Recherchen angestellt, auf der Esoterik-Messe, auf der man mich in eine Tantra-Gruppe eingeladen hat. Das nennt sich polyamouröses Leben. Ich war sehr geschmeichelt, dass man mich eingeladen hat. Ich glaube nicht, dass mir das Erleuchtung brächte, aber ich interessiere mich für die verschiedenen Wege, die Erleuchtung bringen. Das geht ja von Sex bis hin zu geheimnisvollen Substanzen. Ich bin auch zu Kinesiologen gegangen, habe Krankheiten vorgetäuscht. Die haben dann irrste Diagnosen erstellt.

So eine Recherche klingt eigentlich ganz lustig.

In dem Fall sehr teuer. Es ist lustig für mich, aber es gibt ja auch Menschen, die Krebs haben oder irgendwelche fürchterlichen Krankheiten, und für die ist es dann weniger lustig, wenn sie da so angeschmiert werden.

Sie haben sich selbst den Nachnamen gegeben, richtig?

Der Name ist ein reines Fantasieprodukt. Ich wollte passend zum Vornamen das B. Es ist eigentlich ein Anagramm von Kabbala – ich habe mit der Kabbala nix am Hut, aber ich habe einfach die Buchstaben vertauscht, und so ist das entstanden. Meine Tochter führt den Namen auch. Das fand ich toll, dass man eine Dynastie begründen kann als Schriftsteller.

Hat sich Ihre Familie daran gewöhnt?

Wenn ich geheiratet hätte, hätte man sich auch an einen anderen Namen gewöhnen müssen, also haben das alle verkraftet. Das war damals durchaus ein feministischer Akt, weil man ja den Namen vom Vater bekam und dann vom Mann, und man hat ja eigentlich nie einen eigenen. Ich hieß Wieland vorher. Da gibt es schon den Christoph Martin Wieland – ein toller Dichter. Aber ich wollte nicht dauernd gefragt werden: Sind Sie mit dem verwandt?

Wäre es denn eine Belastung, schriftstellerische Vorfahren zu haben?

Es kommt auf den Schriftsteller an.

Würden Sie Ihrer Tochter eine Schriftstellerkarriere ausreden?

Das macht man ja heute nicht mehr, dass man seinen Kindern Berufe ein- oder ausredet. Aber dadurch, dass sie mitbekommen hat, wie prekär das finanziell ist, hat sie überhaupt keine Lust. Vom Finanziellen her strebt sie doch etwas Stabileres an.

Hat Ihre Tochter eigentlich um einen Hund gebettelt?

Ja, sie hat ihn auch bekommen. Solange sie klein war, war es unmöglich, weil ich brauchte einen Babysitter. Und jetzt brauche ich einen Hundesitter. Und ich hätte dann gleichzeitig Babysitter und Hundesitter gebraucht, für Lesereisen zum Beispiel. Aber ich hab mir selbst als Kind immer einen Hund gewünscht und ihn nicht bekommen – das konnte ich ihr nicht antun. Eine Kindheit ohne Hund!

Frau Balàka, darf man Sie auch fragen...


1... ob Sie sich geärgert haben, den Bachmann-Preis 2004 nicht gewonnen zu haben?

Ich hab damit gerechnet. Rein statistisch wusste ich, die Chancen sind gering. Und die Chance, dass man zerlegt wird, ist recht groß. Ich hab geweint auf dem Parkplatz, als die Kameras weg waren, aber ich hab mich relativ schnell wieder erholt. Es hat sich dann doch gelohnt, denke ich.

2... wie viele halb fertige Texte und Romane man auf Ihren Festplatten findet?

Es gibt gescheiterte, die auch nicht fertiggestellt werden sollen. Wenn man jung ist, verirrt man sich ab und zu einmal. Mittlerweile passiert mir das seltener.


3... welches Ihr Lieblingsbuch ist?


Der beste Autor für mich ist Joseph Roth. Ich kann es nicht fassen, dass dieser Mensch so unglaublich viel getrunken hat. In seinen Büchern ist jeder Satz auf der Höhe eines klaren Geistes.

Steckbrief

1966 wurde Bettina Balàka in Salzburg geboren. Bereits als Schulkind wollte sie Schriftstellerin werden. Sie absolvierte eine Übersetzer- und Dolmetscherausbildung (Englisch/Italienisch) an der Universität Wien. Seit 1991 ist sie freie Autorin.

Romane.Balàkas erster Roman „Der langangehaltene Atem“ erschien 2000, es folgten „Eisflüstern“ (2006) – ein Krimi, der in der Zwischenkriegszeit spielt – und „Kassiopeia“ (2012).

Preise. Balàka erhielt (unter anderem) den Österreichischen Förderungspreis für Literatur, den Theodor-Körner-Preis und das Robert-Musil-Stipendium. 2004 war sie Teilnehmerin beim Bachmann-Preis.

Ihr neuer Roman „Unter Menschen“ ist am 14. August bei Haymon erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.