Miami Vice: Ein Fest in Flamingorosa

Zeitreise zu den coolsten Cops der Achtzigerjahre: Vor genau 30 Jahren begannen Sonny Crockett und Ricardo Tubbs in der Unterwelt von Miami zu ermitteln.

TV-Serien also. Nach Bars, in denen man Secondhand-Mode, nach Secondhand-Läden, in denen man Platten, und nach Plattenläden, in denen man Café Latte kaufen kann, hat die junge Bürger-Boheme nun ein neues Thema gefunden: TV-Serien. Ein Unterschied zu früher: Die Anbetung ist vollkommen ironiefrei. Produktionen wie „Californication“, „Breaking Bad“ oder „Dexter“ werden nicht für ihren klischeehaften Event-Charakter geliebt. Rudel-Fernsehabende in proseccogetränkter „Sex and the City“-Atmosphäre, über die sich die Teilnehmer(innen) am nächsten Tag selbst lustig machen, gehören nicht mehr zum Konzept. Gute Dramaturgie, fein gezeichnete Charaktere, detailreiche Ausstattung – das sind die Zutaten des neuen Serien-Wunders.

Wie sexy ist Vergangenheit? Man könnte sagen: Serien sind das neue Arthouse-Kino. Mit dem Vorteil, dass man sich im Gegensatz zum Arthouse-Kino auch noch amüsiert. Ein aktueller Streifzug durch das Genre zeigt: Die Produzenten zieht es verstärkt in vergangene Epochen. „Mad Men“ lässt die Werbebranche der 1960er auferstehen, „Game of Thrones“ hat die Rosenkriege zum Ausgangspunkt für eine Art „Herr der Ringe“-Saga mit viel Sex gemacht, „Boardwalk Empire“ stützt sich auf die verruchten Schauplätze der Prohibition. Vergangenheit ist sexy. Doch kann es auch eine Vergangenheit ohne Kulissen-Schlacht und Special-Effects-Orgie geben? Also eine vergangene Serie, die noch immer – oder schon wieder – funktioniert? „Twin Peaks“ sagt: Ja! „Denver Clan“ und „Dallas“ brüllen: Nein, nein und nochmals nein! Und im Krimi-Segment, da schlummert ein Serienwerk, das einem ein „Jein“ entlockt und genau deshalb spannend ist: „Miami Vice“. Der Pilot mit dem klingenden Titel „Heißes Pflaster Florida“ ging am 28. September 1984 auf Sendung. Eine kollektive Abscheu vor allem, was irgendwie den Zeitgeist der Achtziger transportiert, macht ein massentaugliches Serien-Revival der Cops Sonny Crockett und Ricardo Tubbs aber selbst im Jubiläumsjahr unwahrscheinlich.


Trotzdem oder gerade deshalb zahlt es sich aus, rund 30 Euro für eine DVD-Box mit allen Staffeln zu investieren. Die Serie „Miami Vice“ ist nämlich Sinnbild für eine Ära, in der Fernsehformate zu ganzheitlichen Entertainment-Konzepten wurden. Sie ist eine Art Pionierprojekt, in dem Produzent Michael Mann die Losung ausgab, Mode als eines der Leitthemen mitzudenken. Eine Vorgabe lautete: Die Ausstatter sollten nur auf Kleidungsstücke aus der sogenannten „High Fashion“ setzen. Mit dem Anspruch, dass die Kostümbildner die Designerteile eigenständig kombinieren. Eine von Manns „edgy ideas“: Männer in Pastellfarben. Für Don Johnson war das ein Gräuel. Er sah seine Figur Sonny Crockett „eher wie einen Cowboy“ und „weniger wie ein Osterei.“

Heißes Pflaster. Letztendlich soll es das Klima in Miami gewesen sein, das Johnson gefügig gemacht hat. Brütende Hitze lässt sich eben leichter in fliederfarbenem T-Shirt und ungefüttertem Blazer als in Lederjacke und Jeans ertragen. Mit dem permanenten Mitdenken einer modischen Positionierung setzte Mann eine Wechselwirkung in Gang, die noch heute modellhaft ist. Zum einen bediente sich die Serie der Ideen führender Designer, indem sie üppige Budgets für Einkaufstouren zu den wichtigsten Fashionshows der Welt reservierte. Zum anderen zwang der Erfolg von „Miami Vice“ Ikonen wie Gianni Versace dazu, modische Statements aus der Serie in die eigenen Kreationen mit einfließen zu lassen: „Miami Vice“ wurde stilprägend. So stilprägend, dass sich sogar Cowboy Johnson vollends darauf einließ. Als er 1985 in der „Today Show“ auftauchte, sah er aus wie ein Abziehbild von Sonny Crockett. Seine nackten Füße steckten in hellen Mokassins. „Wo sind die Socken?“, fragte die Moderatorin. Don Johnsons Antwort: „Wenn man 400 Dollar für ein Paar Schuhe ausgibt, könnten Socken für 12 Dollar das Bild ruinieren.“

Hitmaschine. Auch bei der musikalischen Gestaltung bewiesen Michael Mann und sein Partner Anthony Yerkovich ein Gespür für Umweg-Rentabilität. Mitte der Achtzigerjahre investierten die Plattenfirmen nicht nur in Musikvideos, um dem noch jungen MTV zu gefallen – sie versuchten außerdem, potenzielle Hits bei „Miami Vice“ zu platzieren. Dass die Macher enormes Verständnis im Umgang mit Musik besaßen, hatten sie bereits in der ersten Folge bewiesen, als sie das wenig prickelnde „In the air tonight“ von Phil Collins zum Gänsehaut-Soundtrack einer nächtlichen Cabrio-Fahrt durch Miami machten. Später sollten noch Künstler wie Brian Eno, Cyndi Lauper und Depeche Mode von der Plattform „Miami Vice“ profitieren. Das Produzententeam begegnete dem popaffinen Image der Serie mit dem ihm eigenen Geschäftssinn. Es veröffentlichte einen „Miami Vice“-Soundtrack, der sich 12 Wochen an der Spitze der Billboard-Charts hielt.
Es wäre aber unfair, „Miami Vice“ auf seine strategischen Leistungen zu reduzieren. Natürlich ist da auch die unglaubliche Leichtigkeit in Handlung und Dialogen, die die Serie unterhaltsam macht. Bei unerwarteten Wendungen braucht der Zuschauer keine psychologische Zusatzausbildung, um der Geschichte folgen zu können. Crockett und Tubbs sind stets undercover und damit Cops, Drogendealer, Gang-Mitglieder und Rotlicht-Tycoons in Personalunion: eine reizvolle Mischung.

Doch kein Klassiker. Wenn sie Tatorte betreten, tragen sie keine Schutzkleidung und nehmen auch keine DNA-Proben – sie öffnen den Kühlschrank des Opfers, nehmen sich ein Bier und fahren besoffen aufs Revier. Womit wir bei einem Kernproblem der Serie angelangt sind. Man muss sein politisch korrektes Über-Ich konsequent ausblenden, um Spaß zu haben. Anders lassen sich das bizarre Frauenbild, die Verherrlichung von Polizeigewalt und das augenzwinkernde Quälen eines Alligators, der angekettet bei Sonny Crockett am Boot leben muss, nicht ertragen. Deshalb eine Theorie: „Miami Vice“ wird auch in Zukunft kein Gesprächsthema bei der jungen Bürgerboheme sein. Typische Sonny-Crockett-Blazer werden auch in Zukunft nicht in schicken Secondhand-Läden hängen. Und der „Miami Vice“-Soundtrack wird auch in Zukunft nicht zum Repertoire eines gut sortierten Plattenladens gehören. Trotzdem alles Gute zum runden Geburtstag.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.