Haarmaler und Haftelmacher

Ferienspass  Floeszen im Drautal
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Ein herrliches Buch erinnert an verschwundene Berufe– bewundernswerte und wunderliche. Von lebenden Aquarien, Ameislern und beweglichen Bedürfnisanstalten.

Was meinten Frauen, die in den 1830er-Jahren auf der Frankfurter Buchmesse ausriefen: „Möcht' 'mol aaner?“ Sie trugen, schildert ein erstaunter Besucher, „unter einem weitläufigen Umhang aus Leder oder dergleichen ein Schulterholz, daran auf beiden Seiten eine Bütt“, also einen Bottich. Und dann verschwanden Leute „unter dem Umhang, um dort einem Geschäft zu obliegen, dem die menschliche Natur sich zu Zeiten durchaus nit entziehen kann.“

Abtrittanbieter nannte man diese wandelnden Bedürfnisanstalten. Sie verschwanden erst im Lauf des 19. Jahrhunderts, als man in den Städten öffentliche Toiletten errichtete. Dabei war das Gewerbe bei seinem Aussterben noch jung. Im 18.Jahrhundert war es noch weithin üblich, auf der Straße sein Geschäft zu verrichten, Höflichkeitsvorschriften etablierten sich wie: „Gehet man bey einer Person vorbey, welche sich erleichtert, so stellet man sich, als ob man solches nicht gewahr würde, und also ist es auch wider die Höflichkeit, selbige zu begrüßen.“

Wie dieser Beruf sind unzählige ausgestorbene Berufe in Europa ganz vergessen. Dass man sich heute dennoch an vieles erinnern kann, verdankt sich vor allem dem 1941 geborenen österreichischen Filmemacher und Autor Rudi Palla. Schon vor zwanzig Jahren veröffentlichte er zum ersten Mal das Buch „Verschwundene Arbeit“, einen „Thesaurus der untergegangenen Berufe“; weitere veränderte und erweiterte Ausgaben folgten. Die jüngste ist nun unter dem Titel „Verschwundene Arbeit. Das Buch der untergegangenen Berufe“ bei Brandstätter erschienen und gehört sicher zu den schönsten Büchern, die diesen Herbst im deutschen Sprachraum erschienen sind. Die beschriebenen Tätigkeiten reichen von bewundernswert bis ausgesprochen kurios; hier einige Beispiele.

Allesschlucker:
Sieverschlangen vor Publikum Glasscherben, weiße Mäusen u.Ä. oder spien als „lebende Aquarien“ Fischewieder aus, die sie nachdem Konsumvon z.B. 22 Litern Wasser geschluckt hatten.

Ameisler: Ihnen begegnete der steirische „Waldbauernbub“ Peter Rosegger: „An all seinen Gliedern laufen in aller Hast zahllose Ameisen auf und nieder, hin und her, in Schreck und Angst...“ Ameisler sammelten die Puppen der Ameisen und verkauften sie als Fisch- und Vogelfutter, leben konnten sie allein davon nicht, zumal die „Erntezeit“ nur sehr kurz war.

Fischbeinreißer: Als die Damen im Rokoko Reifröcke und Schnurbrüste trugen, waren sie sehr gefragt: Fischbeinreißer verarbeiteten die Hornplatten des grönländischen Bartenwals, die außergewöhnlich elastisch waren und sich in der Längsrichtung leicht teilen ließen. Außerdem verwendete man das Fischbein für Sonnenschirmstreben, zur Versteifung von Damenhüten, Reitpeitschen et cetera.

Fratschlerinnen: Die Wiener Marktfrauen nannte man so, nach dem Wort „fratscheln“ für abfragen, ausholen; sie galten als frech und zudringlich.

Haarmaler:
Sie imitierten mit aufgeklebtem Menschenhaar Federzeichnungen, was viel Geschick erforderte.

Haftelmacher: „Aufpassen wie ein Haftelmacher“ erinnert noch an die Leute, die Hafteln zum Schließen von Kleidung herstellten. Knöpfe machten sie überflüssig. „Ich mach Steckheft aus Messingdraht..., dass die Kleider glatt liegen an“, schrieb Hans Sachs.

Lichtputzer: Das Wort „Lampenfieber“ lautete früher „Rampenfieber“, weil die Bühne an der Rampe von unten beleuchtet war. Fast 300 Kerzen konnte ein großes Barocktheater täglich verbrauchen. Da mussten Dochte geputzt, schiefe Kerzen gerichtet, Öl nachgefüllt werden,... Die Lichtputzer taten das in den Pausen oder auch auf offener Bühne.

Mandolettikrämer: Wien hatte im 18.Jahrhundert noch keine große Desserttradition, da machten die aus Italien kommenden Mandolettibäcker (von „mandorlato“ für Mandelteig) auf den Straßen ein gutes Geschäft – und wurden von den Wiener Zuckerbäckern erbittert bekämpft.

Planetenverkäufer: verkauften in Wien „Glücksbriefchen“, sogenannte Planeten, die von einer weißen Maus oder einem Papagei aus dem Bauchladen gezogen wurden.

Rosstäuscher: Rosshändler wurden wegen ihres schlechten Rufs so genannt. Sie färbten den Pferden die Haare, rieben ihnen Pfeffer in den After oder putschten sie mit Arsen auf, um sie temperamentvoll zu machen.

Silhouettenschneider: Benannt nach dem französischen Finanzminister de Silhouette, dessen Sparkurs im 18.Jh. billigere Schattenbilder statt teurer Porträts begünstigte. In Österreich griff die „Silhouettomanie“ um sich, „fast in jedem Hause von Distinktion sieht man... nur schwarze Bilder“, liest man in einem Wiener Buch.

Das Buch

„Verschwundene Arbeit“, Brandstätter, 271 Seiten, 35 Euro.
Präsentation: Di, 25.11.2014, 19.30 Uhr, Tiempo nuevo, Taborstraße 17A, 1020 Wien.

Rudi Palla, geb. 1941, wollte als Kind etwas werden, was es heute nicht mehr gibt: Schriftsetzer. Er ist Filmemacher und Autor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

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