Skimissionare in Pakistan

Auf den Spuren von Skilehrer Stephan Keck (l.): Projekt-Organisator Mirza Ali und Teilnehmer des Skicamps in Pakistan.
Auf den Spuren von Skilehrer Stephan Keck (l.): Projekt-Organisator Mirza Ali und Teilnehmer des Skicamps in Pakistan.(c) Ehrensberger
  • Drucken

Zwei Tiroler ermöglichten es Jugendlichen in Pakistan, zum ersten Mal auf Skiern zu stehen – und helfen damit auch der Emanzipation junger Frauen.

Shimshal in Nordpakistan. Ein 2500-Seelen-Dorf auf 3000 Metern Seehöhe, zuhinterst im gleichnamigen Tal gelegen, weit weg von den Großstädten des 180-Millionen-Einwohner-Staates. Außer Steinen, Schnee und kalten Winternächten gibt es hier Anfang Jänner wenig zu entdecken. Nicht einmal Bergsteiger verirren sich zu dieser Jahreszeit in die Abgeschiedenheit des Tales. Die spektakulären 8000er, etwa K2 und Nanga Parbat, findet man woanders. Zwei Tiroler Alpinisten hat es trotzdem hierher gezogen, weniger aus Abenteuerlust als für den guten Zweck. Stephan Keck und Andreas Ehrensberger hatten das ambitionierte Vorhaben, einer Gruppe von Jugendlichen aus Pakistan den Skisport näherzubringen.

Skifahren, das mag einem nicht als Erstes in den Sinn kommen, wenn man an Jugendförderung in Pakistan denkt. Der Ansatz der beiden erfahrenen Skilehrer: dort Initiative ergreifen, wo man über Erfahrung und ein Netzwerk an Helfern verfügt. Eine Bergsteiger-Bekanntschaft war es schließlich auch, die den Stein ins Rollen brachte. Mirza Ali, ein pakistanischer Kletterer aus Shimshal, den Keck während einer Himalaya-Expedition kennengelernt hatte, meldete sich mit einer Bitte. Er wollte ein Ski-Camp für Jugendliche organisieren, konnte in ganz Pakistan aber keine Ausrüstung auftreiben.

Keck war von Alis „Pakistan Youth Outreach“-Projekt schnell überzeugt. „Er will Jugendlichen den Skisport näherbringen, um zu zeigen, dass man mit harter Arbeit etwas erreichen kann.“ Der 41-Jährige, der schon karitative Projekte in Pakistan und Nepal organisiert hatte, sammelte 1,5 Tonnen an Ausrüstung, etwa gebrauchte Ski, Skischuhe und Bekleidung für 30 Teilnehmer, gespendet von Firmen und Freunden. Er bot auch gleich seine Hilfe als Skilehrer an und holte mit dem Kirchbichler Ehrensberger einen reiseerfahrenen Mitstreiter ins Boot. Den Transport der Ausrüstung per Flugzeug nach Islamabad stellte eine Logistikfirma zur Verfügung, Keck und Ehrensberger reisten auf eigene Rechnung. Das Camp selbst wurde von pakistanischen Sponsoren finanziert.

Rund 35 Jugendliche, großteils zwischen zwölf und 20 Jahre alt, machten dabei ihre ersten Geh- und Rutschversuche auf zwei Brettern. Drei Tage lang ging es von früh bis spät um nichts anderes. Und das, obwohl die Umstände alles andere als einfach waren. Schon die Anreise zum Austragungsort auf 4000 Metern Höhe war ein Abenteuer. Von Shimshal aus ging es per Fußmarsch noch einmal fünf Stunden bergauf – mitsamt schwerem Skigepäck. Sogar für routinierte Alpinisten eine Herausforderung. Dass die Jugendlichen sich weder durch die aufwendige Tour noch durch die kalten Außentemperaturen den Spaß an der Sache verderben ließen, war für Keck eine große Genugtuung: „Die Kids kommen in der Früh mit einem lachenden Gesicht aus dem Zelt und freuen sich, dass sie den ganzen Tag auf den Skiern stehen dürfen.“

Abseits der Ausgelassenheit ging es aber nicht nur um den Sport, sondern auch um eine Plattform für junge Menschen, um miteinander in Kontakt zu treten und von starken Persönlichkeiten wie Samina Baig zu lernen. Die Schwester von Veranstalter Mirza Ali war die erste pakistanische und zugleich erste muslimische Frau am Mount Everest, zusammen vollendete das Geschwisterpaar 2014 die Besteigung der Seven Summits. Ein wichtiges Zeichen, zielt das Jugendprojekt der beiden doch auch auf die Emanzipation junger Frauen in Pakistan ab.

Mädchen ansprechen

Immerhin 13 Teilnehmerinnen aus verschiedenen Regionen des Landes zählte das heuer erstmals ausgetragene Camp. „Ein Skiförderprojekt wie dieses hat es in Pakistan noch nie gegeben. Dass man auch Mädchen damit anspricht, ist noch einmal ungewöhnlicher“, sagt Keck. Die Rückmeldungen waren beachtlich. Zusammen mit Baig traten die beiden etwa in der Morningshow eines landeweiten TV-Senders auf, um über das Projekt zu sprechen.

Dass es ausgerechnet im schroffen Shimshal-Tal stattfand, ist kein Zufall. Der Ort ist bekannt für seine weltoffenen Bewohner – trotz seiner extremen Abgeschiedenheit. Für die eindrucksvolle, aber nervenaufreibende Anreise muss man unter anderem eine schmale Schotterstraße im unwegsamen Gelände und einen durch einen Felssturz aufgestauten See per Motorboot überwinden. Viele Junge gehen eine Zeit lang nach Karachi oder Islamabad, etwa, um zu studieren, kommen aber meist wieder zurück. Man wohnt in spärlich beheizten Steinhäusern, Strom gibt es nur für wenige Wochen im Sommer, wenn das Schmelzwasser ein kleines Flusskraftwerk speist.

Was sie zum Leben brauchen, verdienen die Einwohner hauptsächlich mit der Viehzucht, im Sommer auch mit dem Anbau von Getreide. Die Verhältnisse sind karg und fordernd. „Die Menschen sind stolz auf ihre Herkunft und ihre Lebensweise, aber sie sind unglaublich interessiert und aufgeschlossen“, sagt Ehrensberger. Familie und Verwandtschaft spielen in dem Ort eine bedeutende Rolle. „Alle haben beim Projekt mitgeholfen – Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen sämtlicher Grade. Und alle wollten natürlich auch Skifahren lernen.“

Die diesbezüglichen Ambitionen sind groß, Mirza Ali träumt schon vom boomenden Skitourismus. Der liegt aber, genau wie Alis Traum, irgendwann pakistanische Olympia-Teilnehmer – und vor allem Teilnehmerinnen – im Skirennsport auszubilden, in weiter Ferne. In Pakistan gibt es derzeit nur ein einziges Skigebiet, und auch das liegt sehr entlegen. Ein zweites Ressort, vor mehr als 25 Jahren mit österreichischer Hilfe aufgebaut, wurde 2007 von den Taliban zerstört. Die pakistanische Armee hat das Gebiet 2009 zurückerobert, das Skigebiet steht aber noch immer still. Insgesamt ist die Sicherheitslage im Land nach wie vor prekär. Zwei Wochen vor der Anreise der Tiroler kam es in Peshawar zu einem Anschlag der Taliban auf eine Schule. Knapp 150 Menschen starben, die allermeisten davon Kinder.

Nächste Auflage

Für die beiden trotz bestehender Reisewarnung kein Grund, ihre Unternehmung zu überdenken. Dass hier in absehbarer Zeit eine Ski-Infrastruktur mit entsprechendem Tourismus entstehen könnte, ist für Ehrensberger aber nicht vorstellbar: „Der Skisport ist in Pakistan so gut wie unbekannt. Westliche Touristen an sich sind ja schon selten.“ Vorerst wird es deshalb bei kleinen Projekten wie dem Pakistan Youth Outreach bleiben. Was wiederum davon bleibt: das Bestreben, den Sport und die Schönheit des eigenen Landes ins Bewusstsein von Jugendlichen zu rufen, die diese Möglichkeit sonst nicht hätten. 35 Paar Ski aus Tirol werden auch im kommenden Jahr dabei helfen. Mirza Ali plant bereits.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.