Haare lassen für den Film

Haare lassen für den Film
Haare lassen für den FilmAntonia Barboric
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Man macht es für Geld, aber auch für das Erlebnis - auch ich. Meine Rolle als Komparsin beim Dreh zu »Die Seelen im Feuer«. Ein Erfahrungsbericht.

Es war nicht das erste Mal. Aber es war doch anders. Denn als ich im September 2013 wieder einmal als Komparsin bei einem Filmdreh im Einsatz war, wurden Frauen gesucht, die sich ihre Haare abrasieren ließen. Das bedeutete aber immerhin das Fünffache der üblichen Komparsengage – die sonst nicht gerade üppig ausfällt. Die Rolle war jene eines „weiblichen Häftlings“, einer vermeintlichen Hexe im 17.Jahrhundert, die im Film „Die Seelen im Feuer“ von Urs Egger ihren Auftritt hat.

Ein seltsames Völkchen sind Komparsen, ohne die ein Film nicht funktionieren würde. Es sind Arbeitssuchende, Pensionisten, Laiendarsteller, aufstrebende Schauspieler, Studenten oder Gelegenheitsarbeiter. Zuweilen entstehen Freundschaften, und einige Komparsen sind immer wieder in Filmen oder im Fernsehen zu sehen. Sie sind natürlich auch dabei, weil es aufregend ist, bekannte Schauspieler aus der Nähe erleben zu können, und so ist der Fotoapparat auch meist dabei. Allerdings ist das Dasein eines Komparsen nicht mit dem eines Schauspielers zu vergleichen: Ein Komparse muss sich auf dem Set unauffällig und ruhig verhalten und auf Abruf bereitstehen. Ich habe vor allem deshalb mit der Komparserie begonnen, weil meine finanzielle und berufliche Situation zu dieser Zeit mehr als prekär war.

„Antonia, wir brauchen dich dringend!“

Und nichts ist in so einem Fall schöner als der Anruf einer Komparsenagentur: „Antonia, wir brauchen dich dringend!“ Diese Erfahrung teilte ich mit einem Kollegen, als wir 2010 bei Oskar Röhlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ arbeiteten. Er, ein Deutscher, war damals in einer ähnlichen Lage: unsichere Beschäftigungsverhältnisse, Hoffnung auf eine bessere Situation. Unterdessen macht man sich zumindest als Komparse nützlich – und verdient sich ein Taschengeld.

Schloss Neugebäude, Wien-Simmering, 7 Uhr: Im Masken- und Schminkzelt ist die erste Komparsin bereits dran; ihre Haare sind ab. Frauen, die früher der Hexerei beschuldigt wurden, wurden als erste Demütigung die Haare brutal abgeschoren. Genau so sieht es bei der Kollegin schon aus: wild und durcheinander rasiert, einige Löcher sind zu sehen. In eines dieser haarlosen Löcher modelliert die Maskenbildnerin gerade eine Kopfwunde ein, die verdammt echt aussieht. Das Gesicht wird beschmutzt, blutige Striemen werden aufgebracht, an der Lippe hat die Komparsin auch eine (modellierte) Verletzung. Sie ist jemand, die gern bei Rollenspielen mitmacht und auch verkleidet an Mittelalterfesten teilnimmt. In Wirklichkeit ist sie Lehrerin, verrät sie. Wir verbringen während des Drehs viel Zeit miteinander, und wir kommen auch immer in denselben Filmszenen dran, da geht man schnell über Smalltalk hinaus.

Es sind doch nur Haare

Die Maskenbildnerin darf nun auch mich entstellen. Einmal noch schlucken, dann fällt die Haarpracht. Seltsam ist es, als mir aus dem Spiegel gegenüber ein haargemindertes Gesicht entgegenblickt. Ich aber dachte mir von Anfang an: Es sind doch nur Haare. Die wachsen schnell wieder nach, und eine Radikalrasur ist auch einmal spannend.

Am Filmset, im Malefizhaus (Hexengefängnis), stellt sich der Regieassistent vor, dann heißt uns der Regisseur persönlich willkommen. Das ist unüblich für Komparsen. Meist haben wir nur mit dem Regieassistenten zu tun, der uns gehetzt Anweisungen gibt.

Es beginnt. Zuerst Proben, danach erste Drehversuche, das Ganze aus drei verschiedenen Einstellungen. Später ergehen konkrete Anweisungen an mich, wie und wohin ich zu schauen, wie ich mich zu bewegen habe. So vergehen ein paar Stunden. Nach der Mittagspause und einem gemeinsamen Essen mit der Filmcrew – eine Seltenheit, denn meist essen Crew und Komparsen getrennt und unterschiedliche Gerichte – geht es mit derselben Szene weiter.

Langes Warten beim Dreh

Die Sonne scheint, und ich lasse sie mir auf den kahlen Kopf scheinen – als mich plötzlich eine vorbeispazierende Frau erschrocken ansieht und fragt, ob es mir nicht gut gehe. Ich muss lachen und kläre sie über den Irrtum auf. Ein Komparsenkollege sitzt in der Nähe ganz leger in Häftlingskutte mit Theaterschminke, Kopfhörern und Sonnenbrille auf einem Hocker. Von ihm erfahre ist, dass er während der Wartezeiten Hörbücher hört, vor allem Krimis. Zudem hat er auch seinen E-Reader dabei und kommt dank seiner Komparsenfreizeittätigkeit somit auf etwa 80 Bücher im Jahr.

Ganz unverhofft treffe ich einen ehemaligen Nachbarn. Wir haben sogar eine gemeinsame Szene, nur habe ich ihn zuvor nicht erkannt. Er erzählt, dass er – als ausgebildeter Akteur – lieber als Kellner denn als Schauspieler arbeitet. Ich muss grinsen: Ist die Rollenverteilung in der Film- und Theaterbranche normalerweise nicht genau umgekehrt?

Für eine Einstellung werden alle Komparsen, die als Häftlinge kostümiert sind, in einer Reihe aufgestellt. Der Erste wird zum Schafott geführt und dort „geköpft“. Hinter ihm stehen der Darsteller, der einen Vater spielt, sowie sein zwölfjähriger Filmsohn. Plötzlich kommt mir die Rolle zu, den Buben, sobald sein Vater abgeführt wird, zu mir zu holen. Dazu fragt mich der Kameramann, ob ich auf Befehl weinen könne. Eher nein, doch er meint: „Versuch es! Du schaffst das schon.“ Also versuche ich mich in die Rolle hineinzufühlen. Letztlich kommen mir zwar keine Tränen, doch dem Team reicht meine Ausdrucksweise. Der Drehtag dauert rund 13 Stunden – ab etwa neun Stunden erhält man als Komparse einen finanziellen Aufschlag. Es gibt aber natürlich auch viel kürzere oder längere Tage, meist mit sehr frühem Drehbeginn, und sehr oft wird auch in der Nacht gearbeitet.

Am Montag wird der Film endlich im Fernsehen ausgestrahlt. Ich bin gespannt, ob meine große Szene zu sehen sein wird – oder ob sie der Schere zum Opfer gefallen ist. So wie zuvor meine Haare.

»Seelen im Feuer«

Ausstrahlung: Am Montag, 2.März, wird auf ZDF der Film „Die Seelen im Feuer“ ausgestrahlt. Es ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans der Historikerin Sabine Weigand (erschienen 2008 bei S.Fischer). Im Mittelpunkt stehen die die Hexenverbrennungen in Bamberg um 1630.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2015)

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