Ruth Beckermann: „Hass, Neid und eine Hetz haben“

(c) Stanislav Jenis
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Ruth Beckermann erinnert mit ihrer neuen Installation an die berüchtigten „Reibpartien“. Und damit an ein speziell wienerisches NS-Kapitel.

Ein Mann kniet auf dem Boden, Hände klammern sich an eine Bürste. Das Erschreckende ist etwas anderes: das Lachen. Das Publikum rundum, das da jemand 1938 auf Film aufgezeichnet hat, ist begeistert. Man hat ganz augenscheinlich Spaß.

Ein Paar steht an diesem Vormittag vor der neuen Filminstallation auf dem Helmut-Zilk-Platz vor der Albertina; eine Schülergruppe aus Dänemark hat eben von einer lokalen Führerin eine Erklärung über das Hrdlicka-Denkmal erhalten, „und über diese Art der Demütigung, die es nur in Wien gegeben hat“, berichtet die Lehrerin.

„Diese Szenen 1938, die sogenannten Reibpartien, schreiben sich weniger in die Geschichte des Nationalsozialismus als vielmehr in die Geschichte des Wiener Antisemitismus beziehungsweise überhaupt der Wiener Bosheit ein: Hass, Neid und eine Hetz haben, auf Kosten der anderen“, sagt die Filmemacherin Ruth Beckermann.

Direkt nebenan, im Filmmuseum, ist sie vor eineinhalb Jahren den Szenen von der Putzschikane zum ersten Mal begegnet: in einer Präsentation nicht einordenbaren Filmmaterials, das im Rahmen eines Projekts mit dem Holocaust Memorial Museum gezeigt wurde. Es ist eine einzigartige Sammlung an Amateurfilmen, die das Filmmuseum da besitzt: roh, anders – auch anders, als es die Nazi-Propaganda wollte. Filmaufnahmen von den „Reibpartien“ gibt es sonst nicht.

Hinter Beckermanns Installation „The Missing Image“ steckt Unbehagen. Unbehagen, das sie spürte, seit Alfred Hrdlickas „Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“ mit seiner Bronzeskulptur des knienden, straßenwaschenden Juden, allein und in Opferpose, 1988 eröffnet wurde. 1989 schrieb sie darüber in ihrem Buch „Unzugehörig“. Als sie die Aufnahmen im Filmmuseum sah, wusste sie: „Das ist das fehlende Bild. Damit wollte ich etwas machen, und zwar hier, im öffentlichen Raum, wo das stattgefunden hat – und nicht in einem dunklen Kinosaal.“

Sauberkeit vor Fairness

In ihrer Arbeit, sagt Beckermann, gehe es ihr dabei immer um die Gegenwart. „Es geht mir immer darum, welches Bewusstsein heute herrscht und welche Versatzstücke der Geschichte wir bereit sind, uns heute anzuschauen, und aus welcher Perspektive.“ Ihre Filme seien geradezu ein Spiegel des Bewusstseinswandels. Von ihrer Reise durch die eigene Familiengeschichte in „Die papierene Brücke“ während der Waldheim-Ära, als es zu „antisemitischen Ausbrüchen mitten in der Stadt“ kam, über die Wehrmachtsdebatte („Jenseits des Krieges“) bis zur heutigen Installation. Diese, glaubt sie, wäre noch vor zehn Jahren nicht möglich gewesen. „Da gab es noch weniger jüngere und umdenkende Menschen und Politiker.“ Wandel brauche Zeit. „Das, was in den Menschen drin war, haben sie ja zum Teil an ihre Kinder weitergegeben. Da sind eben manche Werte höher angesiedelt als andere.“ Sauberkeit sei auch heute hierzulande ein hoher Wert. „Fairness ein geringer.“ Ein Beispiel? „In den Schulen lässt man die Kinder heute nicht mehr in der Ecke stehen. Aber subtiles Mobbing und Erniedrigung kommen immer noch häufig vor.“

Auch Beckermann hat es erlebt. Sie hatte Tafeldienst, es war Ostern, alle haben in der großen Pause Osterhasen und Eier auf die Tafel gemalt. Beckermann begann zu löschen. „Daraufhin wurde ich beschimpft. Als eine, die keine Ahnung hat, wie wichtig das ist, die keine Ahnung von den zehn Geboten habe.“ Beckermann blieb schlagfertig. „Ich hab geantwortet: ,Wer hat denn die zehn Gebote vom Berg Sinai geholt?‘“ Erzählt haben sie und ihre Schwester, die stärker als sie litt, ihren Eltern nie davon. „Man hat darüber nicht gesprochen, bis Waldheim nicht.“ Gehadert hat sie lang damit, dass ihre Eltern – ihre Mutter war schon in Palästina gewesen – nach dem Krieg in Wien geblieben sind.

Die Erniedrigung, auch Beckermanns Mutter hat sie miterlebt. Deren beste Freundin, erzählt die 1952 geborene Filmemacherin, war die Tochter des Rabbiners im Turnertempel im 15. Bezirk. Als der Mob den Rabbi zum Bodenwaschen zwingen wollte, übernahm dessen Tochter mit ihren arisch wirkenden, blonden Zöpfen die Aufgabe für ihn.

Wenn jetzt auf dem Zilkplatz körnige Bilder von knienden Menschen mit Bürsten auf dem Gehsteig zu sehen sind, dann spiegelt sich der Zuschauer darin. Der Effekt ist gewollt: Man ergänzt die Gruppe der Gaffer. Sie sei neugierig, wie die Reaktionen ausfallen werden, sagt Beckermann. „Ich hoffe, dass man jetzt bereit ist, sich damit auseinanderzusetzen.“ Schon jetzt bekomme sie viel Feedback, zum Beispiel: „Jemand hat mir ein Foto des eigenen Vaters geschickt: Er könnte einer der Männer sein, die den Boden waschen.“

Die Installation „The Missing Image“, vertont von Olga Neuwirth, ist bis 10. November zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2015)

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