Patrice Leconte: "Komisch? Es ist grauenhaft!"

GERMANY CINEMA
GERMANY CINEMAAPA/EPA/PAUL ZINKEN
  • Drucken

Patrice Leconte hat einige der schönsten melancholischen Liebesfilme des französischen Kinos gedreht und verschmitzte Komödien wie "Nur eine Stunde Ruhe".

„Nur eine Stunde Ruhe“ heißt Patrice Lecontes neuer Film, der am 8. Mai in Wien anläuft – eine subtile, verspielte Komödie über einen älteren Bourgeois und unerträglichen Egoisten, trotz allem liebenswert gespielt von Christian Clavier. Eine ebenfalls mit Clavier gedrehte Komödie hat den französischen Regie-Feinmeister Leconte vor Jahrzehnten berühmt gemacht, doch seitdem hat er sich mit Filmen wie „Monsieur Hire“ oder „Die Frau auf der Brücke“ auch einen Namen als melancholischer, leicht mystischer Ästhetiker der Liebe gemacht. Er habe „einen Fond von Traurigkeit“, bekennt er im Gespräch mit der „Presse“, lächelt dabei aber verschmitzt. Das Festival du Film Francophone hat Leconte nach Wien gebracht, wo er sich mit der „Presse am Sonntag“ unterhielt – über das Grauenhafte im Komischen, weibliche Anteile in männlichen Regisseuren und ein Geständnis Alain Delons.

Sie haben schon sehr komische und sehr traurige Filme gedreht. „Nur eine Stunde Ruhe“ reizt unentwegt zum Schmunzeln, aber ist diese Geschichte nicht im Grunde genommen schrecklich? Im Leben Ihres armen Helden Michel geht ja innerhalb eines Tages gnadenlos alles kaputt, Beziehung, Vaterschaft, Wohnung...

Patrice Leconte: Das ist ein bisschen wie Vaudeville. Ein Mann hat eine Geliebte, sie geht aus der einen Tür raus, die Frau kommt bei der andern rein, und und das findet man dann komisch. Natürlich ist das genau genommen nicht komisch, es ist grauenhaft! In meinem Film sehe ich das Echo einer vergangenen Zeit, die uns sehr zum Egoismus gedrängt hat.

Die Komik rührt auch daher, dass Michel nicht nur himmelschreiend blind in Bezug auf die anderen ist, sondern auch auf sich selbst. Eine Generationenfrage?

Nein, das ist für mich eine Sache der Persönlichkeit. Ich sehe auch viele Junge, die glauben, dauernd zu kommunizieren, und in Wirklichkeit einer totalen Illusion erliegen.

Der junge Sohn, Typ ewiger Student, kommt auch nicht so gut weg.

Die Figuren dieses Films haben sowieso alle etwas von Karikaturen. Aber man muss nun einmal verzerren, um komisch zu sein. Ich finde, man kann in der Karikatur sehr weit gehen, unter der Bedingung, dass die Figuren am Ende wieder auf die Füße kommen und liebenswert werden. Das beste Beispiel dafür ist die Hauptfigur Michel. Er ist total ichbezogen, aber als er schließlich seinen Vater besucht und die beiden glücklich gemeinsam die zerkratzte Jazzplatte anhören, obwohl sie ständig dieselbe Stelle spielt – dieses Ende kauft die Figur quasi wieder frei. Und ohne dieses Ende, diese innere Veränderung, wäre der Film nichts. Alle Figuren haben bei mir eine gute Seite, das ist mir sehr wichtig. Man fragt sich viel zu selten, was die Figuren nach dem Ende eines Films machen werden – ich habe zum Beispiel den Eindruck, dass Michel oft wiederkommen wird, um seinen Vater zu sehen.

Haben Männer mehr komische Seiten für Sie als Frauen? Die einzige ernsthafte Figur im Film ist eigentlich Michels Ehefrau.

Sie ist ein bisschen depressiv seinetwegen, aber sie hat trotzdem ein Gleichgewicht und Realismus, und am Ende nimmt sie sich die Freiheit und verlässt ihren Mann. Es war mir sehr wichtig, dass sie insgesamt sensibel, intelligent und möglichst wenig komisch erscheint. Das hat aber nicht generell mit dem Geschlecht zu tun – Michels Geliebte wird ja auch ironisch gezeigt.

Einfach nur unbeschwert komisch zu sein scheint Ihnen schwerzufallen.

Es stimmt, ich habe einen Fond aus Traurigkeit.

Michel kauft sich eine uralte Jazzplatte, die er seit Ewigkeiten gesucht hat, und ist so unglaublich glücklich darüber, stößt aber bei seiner Umgebung auf null Verständnis für seine anachronistische Vorliebe. Kennen Sie mit 67 das Gefühl, mit den Dingen, die man liebt, einer anderen Zeit anzugehören?

Ja, das kenne ich. Einen Film, in dem ich mich nicht irgendwie wiederfinde, könnte ich ohnehin nicht machen. Aus diesem Grund werde ich auch ein Drehbuch, das ich auf dem Flug nach Wien gelesen habe, dem Autor zurückschicken, dabei ist es wirklich gut! Ich könnte es machen, aber die nötige Leidenschaft würde fehlen.

Die Komik in „Nur eine Stunde Ruhe“ rührt nicht zuletzt daher, dass im Inneren der Figuren etwas nicht stimmt, nicht im Lot ist. Völlig ausgeglichene Charaktere ergeben keine gute Komödie – trifft das nicht auch auf Ihre Liebesfilme zu? Psychologen würden deren Hauptfiguren wohl ziemlich neurotisch finden.

Die schönsten Liebesgeschichten spielen sich wohl wirklich nicht zwischen vollkommen gesunden Charakteren ab. Es gibt ja den schrecklichen Satz, dass glückliche Menschen keine Geschichte haben. Dem habe ich allerdings versucht zu widersprechen, im Film „Der Mann der Friseuse“.

In dem sich die Friseuse allerdings am Ende in einen Fluss stürzt, um einem eventuellen Ende ihres Eheglücks zu entgehen.

Aber davor ist das Paar lange Zeit glücklich. Diesen Film könnte ich heute nicht mehr drehen, das gilt überhaupt für viele Filme, die ich früher gemacht habe.

Warum?

Ein Friseursalon, ein Mann, der die Friseuse liebt, sie heiraten, sind glücklich, bleiben glücklich... Damals habe ich einen Produzenten gefunden, der verrückt genug war, diese Geschichte zu machen. Heute ginge das sicher nicht! Man würde mich fragen: Worum geht es? Um einen Buben, der kurze Haare haben wollte. Und weiter? Na er ging zum Friseur. Und was noch? Er verliebt sich in die Friseuse. Und dann? Er heiratet sie. Und was noch? Sie sind glücklich. Und was noch? Das wars. Die würden sagen: Herr Leconte, schreiben Sie etwas Interessanteres!

Was hat sich geändert?

Das Fernsehen ist sehr enervierend, die Sender sind der wichtigste Partner, und sie wollen Produkte für den Sonntagabend. Vor 20 Jahren waren sie weniger einflussreich, und man konnte originellere Filme machen. Aber es bringt nichts zu sagen, es war früher besser, das sagen nur alte Deppen. Wenn man sagt, dass es früher besser war, folgt daraus sowieso, dass man vom Heute profitieren muss, weil es in zehn Jahren ja noch schlechter sein wird. In zehn Jahren werden wir vom 20. April 2015 sprechen und sagen: Damals war es besser!

Der Blick auf die Liebe in den Filmen Ihrer Regie-Generation ist sehr männlich. Finden Sie, dass sich das geändert hat?

Vor zehn, 20 Jahren war es wirklich so, aber jetzt gibt es doch auch immer mehr junge Regisseurinnen, die großartige Filme machen und die Liebe auf andere Weise zeigen. Allerdings sind in jedem Mann weibliche Anteile und in jeder Frau männliche. Ich hab mich meiner weiblichen nie geschämt. Wenn ich sie wie in „Der Mann der Friseuse“ möglichst gut ausdrücken kann, macht mich das glücklich. Viele Frauen waren extrem berührt von diesem Film und sagten mir: „Ich möchte so gern so geliebt werden und so gern so lieben wie hier!“

Sie haben Jean-Paul Belmondo und Alain Delon in einem Film zusammengebracht. Wie war die Arbeit mit ihnen?

Wunderbar. Ich liebe Schauspieler überhaupt, und mit den größten kann man am leichtesten arbeiten. Man sagt immer, die seien kapriziös, ich finde das gar nicht.

Nicht einmal Alain Delon?

Ich habe mich bestens mit ihm verstanden, er ist warmherzig, treu, wir haben einander nie aus den Augen verloren. Ja, er ist kompliziert mit sich selbst, er macht sich das Leben schwer. Er liebt es, Furcht zu verbreiten, aber er leidet zugleich darunter. Eines Abends hat er mir gestanden: „Ich kann nicht aus meiner Haut raus, ich möchte geliebt werden, aber ich schaffe es nicht!“ Stellen Sie sich das vor, es ist furchtbar! Er hatte Tränen in den Augen.

Steckbrief

1977
Lecontes Komödie „Die Strandflitzer“ („Les Bronzés“) wird einer der größten Erfolge des französischen Kinos. Schon dort spielte „Nur eine Stunde Ruhe“-Hauptdarsteller Christian Clavier mit.

Ab 1987
Leconte dreht nun auch ernstere Filme wie „Tandem“, „Monsieur Hire“, „Der Mann der Friseuse“ oder „Die Frau auf der Brücke“. Der am Hof von Ludwig XIV. spielende Film „Ridicule“ bringt ihm einen Regie-César ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.