Porträts gegen das Wegschauen

Boatpeople
BoatpeopleMarkus Thums
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19 Bootsflüchtlinge hat der Fotograf Markus Thums abgelichtet. Ihre Gesichter sollen das Schicksal tausender Flüchtlinge greifbarer machen.

Der entscheidende Moment für Markus Thums war jener, als er das kleine Mädchen sah. Vielleicht zwei Jahre alt, so wie seine jüngere Tochter. Das Mädchen trieb im Wasser, tot. Ertrunken im Mittelmeer, auf der Flucht in ein besseres Leben in Europa.

Für den Fotografen Thums war das Bild dieses Kindes der Auslöser dafür, selbst nicht mehr nur betroffen darüber zu sein, dass im Mittelmeer, auf dem Weg von Afrika nach Europa, Menschen umgekommen sind – und immer noch umkommen. Das Mädchen war eines von etwa 700 Opfern, die an einem einzigen Wochenende im April auf dem Meer umkamen. „Da ist mir klar geworden“, sagt der Wiener Fotograf, „dass ich nicht länger in dieser Festung Europa in Wohlstand leben will, während wir den Flüchtlingen beim Ertrinken zuschauen. Wir können diese Verantwortung nicht länger an die Politik abgeben.“

Auch wenn sich anlässlich der Katastrophe im April hunderte Menschen zu einer Mahnwache in Wien versammelt haben, Aufschrei und Bestürzung (zumindest kurzfristig) groß schienen („Dass die Politik mitgetrauert hat, hat mich wahnsinnig geärgert. Sie ist schließlich mitverantwortlich für die Tragödie“), vermisst Thums tatsächliche Betroffenheit bei vielen Menschen und einen Mangel an Initiative. Das könnte auch daran liegen, glaubt er, dass die in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe Bootsflüchtlinge oder Boatpeople „die Leute entmenschlichen und eine Distanz schaffen. Wir schauen ihnen nicht in die Augen, wir kennen ihre Namen nicht.“

Genau das möchte er mit seinem jüngsten Projekt – „einer ganz kurzfristigen Sache“ – ändern. Thums will diesen Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und dafür ihr Leben auf der Überfahrt riskiert haben, einen Namen geben. Und vor allem auch: ein Gesicht.

Nahaufnahmen von Menschen, die fliehen mussten, statt Fotos der überfüllten Boote, in denen hunderte Menschen sitzen, die man auf Bildern meist nur aus der Ferne sieht. Mit seiner Idee stieß Thums beim Verein Ute Bock auf offene Ohren. Der Verein, der Flüchtlingen in ihrem (neuen) Alltag in Österreich hilft, hat den Kontakt zwischen Thums und den Boatpeople hergestellt, die in Österreich gelandet sind.

Das zweitägige Fotoshooting hat für ihn mit einer überraschenden Erkenntnis begonnen. „Ich habe mir erwartet, dass ich traurige, vom Schicksal gezeichnete Menschen kennenlernen werde“, erzählt der Fotograf, „und habe mir dazu eine Bildsprache überlegt.“ Tatsächlich traf er durchwegs positive, starke Menschen, „da habe ich mein Konzept umgeändert, um sie auch so darzustellen“.

31 Tage im Boot

Entstanden sind dabei 19 Porträts, Großaufnahmen im wahrsten Sinn des Wortes (Maße: etwa ein mal eineinhalb Meter), die durchwegs starke Persönlichkeiten zeigen. Optimistische Menschen, manche wirken fröhlich, andere nachdenklich, jedenfalls: hoffnungsvoll. So wie Michael aus Simbabwe, der einen ganzen Monat auf dem Meer verbracht hat, ehe er europäischen Boden unter den Füßen hatte. Oder Jallow aus dem westafrikanischen Land Guinea, der zwölf Tage Überfahrt überstehen musste und mittlerweile eine Tochter mit einer Österreicherin hat.

Einige Flüchtlinge, erzählt Thums, waren skeptisch und wollten nicht mitmachen. Manche hatten Angst, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, wollten mit ihrem unsicheren Aufenthaltsstatus lieber nicht auffallen und sich ins Rampenlicht stellen lassen. All jenen, die mitgemacht haben, ist der Fotograf „dankbar für den Vertrauensvorschuss. Denn damit machen sie sich natürlich öffentlich.“

Am kommenden Donnerstag ist die dazugehörige Fotoausstellung im Wiener WUK zu sehen (siehe Infokasten), wenn auch vorläufig nur für einen Abend. Ute Bock wird sprechen, einige Flüchtlinge werden von ihren Erlebnissen auf den Booten berichten. Die Journalistin Livia Klingl, die ein Buch über Europas Umgang mit den Flüchtlingen („Wir können doch nicht alle nehmen“) verfasst hat, wird ebenfalls am Ausstellungsabend sprechen. Alle Spendeneinnahmen sowie Erlöse aus dem Bilderverkauf (ein Preis steht noch nicht fest) kommen dem Verein Ute Bock zugute. Thums plant, aus seinen „Boatpeople“-Bildern auch eine längere Ausstellung zu machen, und sucht derzeit nach einer Galerie.

Die 19 porträtierten Flüchtlinge sind allesamt Männer – meistens sind es die Väter in Familien oder junge Männer, die sich aufmachen, um in Europa Geld zu verdienen, mit dem sie ihre Familien zu Hause ernähren können. 19 Männer, die mit ihrem Gesicht den tausenden geflüchteten Menschen stellvertretend ein Gesicht geben – und eine Geschichte.

„Schäbig“.

Thums wünscht sich, dass die verbreitete Meinung, Österreich werde von Flüchtlingen überschwemmt, relativiert werde, „weil es einfach nicht stimmt“. „Umso schäbiger“ empfindet er es, dass mittlerweile hunderte Flüchtlinge in Zelten untergebracht werden, während Kasernen leer stehen und Privatpersonen, die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen könnten und Flüchtlinge aufnehmen wollen, vielfach „einfach ignoriert werden“. Thums hofft darauf, dass er mit seinen Porträts ein Umdenken bewirken und die Menschen zum Nachdenken bewegen kann – „vor ihrem Sommerurlaub am Mittelmeer“.

Steckbrief

Markus Thums
ist Werbefotograf in Wien. Unter anderem hat er Kampagnen für die Caritas oder die St.-Anna-Kinderkrebsforschung fotografiert.

Die Porträts der Boatpeople sind seine zweite Arbeit für den Flüchtlingsverein Ute Bock.

Ausstellung

„Boatpeople – wir geben euch ein Gesicht“ heißt die Ausstellung von Markus Thums. Gezeigt werden die Fotografien von Flüchtlingen vorerst nur am Donnerstag, 28. Mai (19 Uhr) im WUK-Projektraum (Währinger Straße 56). Spenden und Erlös aus dem Bilderverkauf gehen an den Verein Ute Bock. www.thums.eu

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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