Ryan Gosling: "Dieses Kind sieht keine Filme"

April 11 2015 New York City NY USA Actor and director Ryan Gosling made an appearance at the
April 11 2015 New York City NY USA Actor and director Ryan Gosling made an appearance at theimago/ZUMA Press
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Hollywoodstar Ryan Gosling spricht im Interview über sein Regiedebüt,"Lost River", übertriebene Lobeshymnen und seine Kindheit in einer exzentrischen Großfamilie.

Mit dem düsteren Thriller „Lost River“ (Kinostart: 28.Mai) über eine scheinbar verfluchte Kleinstadt in den USA gibt Hollywoodstar Ryan Gosling sein Regiedebüt. Der 34-Jährige im Interview.

Erinnern Sie sich noch daran, welche Filme Sie in Ihrer Jugend so stark beeinflusst haben, dass Sie Schauspieler und nun auch Regisseur geworden sind?

Ryan Gosling: Ja. Ich weiß noch, dass ich als Junge „Rambo“ gesehen und danach gedacht habe, ich wäre selbst Rambo. Am nächsten Tag ging ich in die Schule, versteckte ein Steakmesser in meiner Schultasche und bewarf Kinder damit. Ich wurde umgehend der Schule verwiesen – zu Recht.

Gab es noch weitere Konsequenzen?

Ja, denn ab dann stand für meine Eltern fest: „Dieses Kind sieht keine Filme mehr.“ Ich durfte höchstens Naturfilme oder „Dick und Doof“ sehen. Ich weiß also, was für einen magischen Sog Filme haben können.

Jetzt haben Sie zum ersten Mal ein Drehbuch geschrieben und es selbst verfilmt.

Ja, wir haben Anfang 2013 angefangen zu drehen. Der Arbeitstitel lautete „How to Catch a Monster“. Ich bin aber nicht vor der Kamera zu sehen. Das wäre mir zu viel gewesen – zum ersten Mal Regie zu führen und auch noch zu spielen.


Was war das für ein Gefühl, das erste Mal „Action!“ zu rufen?

Schon ein ganz gutes. Aber wir hatten ein kleines Set ohne Monitore. Eben ein echter Independentfilm. Das war eine einzigartige Erfahrung für mich.


Wer hat Sie als Regisseur beeinflusst?

Man schaut sich von vielen etwas ab. Die Arbeit mit Regisseur Derek Cianfrance, mit dem ich „Blue Valentine“ und „The Place beyond the Pines“ gedreht habe, war für mich im Grunde genommen das beste Training. Ich erinnere mich noch an den ersten Drehtag von „Blue Valentine“, als wir nur eine Kamera benutzt haben, um in einem Bahnhof zu drehen, für den wir keine Drehgenehmigung hatten. Wir haben ein Pärchen entdeckt, das saß da in rosa Winterjacken und küsste sich innig. Unser Kameramann versteckte die Kamera unter der Jacke und filmte sie heimlich. Ein paar Stunden später saß dieses Pärchen bei uns im Zugwaggon – nur die beiden, sonst niemand. Wir haben ihnen erzählt, dass wir sie gefilmt haben, und gefragt, ob wir sie noch einmal filmen dürfen. So konnten wir noch etwas mehr von der großen Liebe festhalten.

In welchen Situationen haben Sie denn bei „Lost River“ improvisiert?

Einer unserer jüngeren Darsteller mochte die Kamera nicht. Also mussten wir uns etwas ausdenken und wurden dabei fast zu Dokumentarfilmern. Wir versteckten uns unter Wäschebergen und warteten, bis der Junge den Raum betrat und wir ihn so ins Bild bekamen. Wir mussten unseren Stil nach ihm ausrichten. Wir wurden dafür mit Momenten belohnt, die du so nicht schreiben kannst – so voller Leben. Sie haben die Geschichte erst lebendig werden lassen.

Nicolas Winding Refn, Regisseur Ihres Erfolgsfilms „Drive“, scheint Ihr Leib-und-Magen-Regisseur geworden zu sein. Was hat Sie zu Freunden gemacht?

Mein erstes Casting bei ihm war eine Katastrophe. Wie ein schlimmes erstes Date, bei dem man ganz schnell die Rechnung bestellen sollte, weil es zu nichts führt. Er sah mich kaum an, es kam kein Gespräch zwischen uns zustande. Er war völlig desinteressiert – so kam es mir jedenfalls vor. Später stellte sich heraus, dass er starke Erkältungsmedikamente genommen hatte und fast high war. Jedenfalls bat er mich, ihn nach Hause zu fahren.

War das Bestandteil des Castings, um Ihre Fahrkünste zu testen?

Nein – Nicolas fährt nur nicht Auto. Nie. Ich dachte noch: Und dieser Typ will einen Film namens „Drive“ machen? Im Wagen herrschte noch immer dieses zähe Schweigen zwischen uns. Also machte ich das Radio an, und es lief REO Speedwagon mit „Can't Fight This Feeling“. Plötzlich kommt Leben in diesen Mann, er fängt an zu weinen und singt irgendwann diesen Song mit. Dann sagte er: „Das ist es: Ein Typ, der im Auto herumfährt und Musik hört.“ Und genau so hatte ich „Drive“ beim Lesen empfunden. Ab dann wusste ich: Dieser Typ und ich, wir sind auf derselben Spur.

Sind schnelle Wagen und Motorräder denn Ihr Ding? Oder hatten Sie manchmal bei den halsbrecherischen Fahrten auch Angst?

Etwas Angst gehört schon dazu. Wenn man sie nicht mehr hat, sollte man sofort damit aufhören. Sonst kommt man in Schwierigkeiten. Als Kind habe ich einmal mitangesehen, wie ein junger Motorradfahrer von einem Auto angefahren wurde. Ich lief hin, er lag halb unter dem Auto, das Blut lief aus seinem Kopf – und mein erster Gedanke war: Ich muss ein Motorrad haben. Irgendetwas daran hat mein Gehirn versaut. Das ist eben so mit Motorrädern, das ist wie ein Fluch, ein Bann, von dem du nicht mehr loskommst.

Wann haben Sie sich dann das erste Motorrad geleistet?

Als ich zwölf war, überredete ich Freunde, mir ein Moped zu kaufen. Ein Jahr lang habe ich mich hinten im Garten draufgesetzt und so getan, als würde ich damit fahren.


„Heißester Hollywood-Beau“, „Ausnahmetalent“ – verdrehen Ihnen solche Lobeshymnen nicht manchmal den Kopf?

Wenn man erst einmal anfängt, all diese Sachen, Lob und Komplimente zu glauben, dann glaubt man es anderen auch, wenn sie nicht mehr an dich glauben. Und wenn erst einmal du damit anfängst, glaubt niemand an dich. Man lernt, nicht von der Meinung der anderen abhängig zu sein. Sonst ist man irgendwann zu ängstlich, um auch einmal etwas Außerordentliches zu wagen. Daher fährt man besser, wenn man lernt, die Meinung der anderen nicht überzubewerten. Und was eine mögliche Wahl zum „Sexiest Man Alive“ angeht: Ich habe keine Berechtigung, dazu eine Meinung zu haben. Daher habe ich mir überlegt, mich gar nicht auf solche Gedanken einzulassen.


Wollten Sie mit dieser Entscheidung, es nun auch mit der Regie zu probieren, weg von dem verrückten Hype um Sie, weg von den kreischenden weiblichen Fans?

Das war keine bewusste Entscheidung in diese Richtung. Mir ging es tatsächlich darum, eine ganz andere Erfahrung zu machen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieser Film von mir gemacht werden wollte. Und das ist eine schöne Art zu arbeiten.


Als Regisseur müssen Sie sich sicher sein, dass Ihre Stimme vom Publikum in der Weise gehört wird, wie Sie es beabsichtigen. Fällt Ihnen das leicht?

Es geht nicht darum, mich zu hören. Du bist andauernd auf der Suche nach der idealen Umsetzung und treibst alles voran, um dahin zu gelangen. Du weißt nicht genau, wie das am Ende aussieht, du machst dich mit allen anderen im Team gemeinsam auf die Suche danach.

Sie sind mittlerweile zusammen mit Eva Mendes Eltern einer kleinen Tochter geworden, Esmeralda. Das Thema Eltern-Kind-Beziehung scheint Sie auch in Filmen immer wieder zu faszinieren. Warum? Wie sind Sie selbst aufgewachsen?

Ich bin in einer Familie mit extrem vielen Charakterköpfen und echten Typen aufgewachsen. Wenn man sie alle einmal in einem Film versammelt hätte, hätte jeder Film überfrachtet gewirkt. Unser Haus war so etwas wie eine Langzeit-Castingshow. Es wurden einem Drama, Komödie und Thriller geboten, aber alles gleichzeitig. Es war wirklich wie eine perfekte Bühne für einen Film. Und beim Drehen habe ich oft das Gefühl, ich würde noch einmal in diese Atmosphäre zu Hause eintauchen – in diese für mich sehr prägende Zeit –, sie wieder erleben, hinterfragen und sie „klären“.

Steckbrief

1980
wurde Ryan Gosling in London, Kanada, geboren.

2004
gelang ihm der Durchbruch mit dem Liebesfilm „Wie ein einziger Tag“ an der Seite von Rachel McAdams.

2007
wurde er für seine Rolle in „Half Nelson“ für einen Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert. Es folgten Erfolgsfilme wie „Das perfekte Verbrechen“, „Lars und die Frauen“, „Drive“ und „The Ides of March – Tage des Verrats“.

2014
bekamen er und seine Freundin, Eva Mendes, eine Tochter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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