Die Socke, die uns verrät

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Ein neues Buch entschlüsselt unterhaltsam Zusammenhänge zwischen unserer Kleidung, der Wahl unserer Haustiere, der Socken, die wir tragen, und unserer Persönlichkeit.

Das Schöne an Klischees ist, dass sie einem das Gefühl vermitteln, im Besitz des großen Buches der Weisheit zu sein. Damit ausgerüstet, wissen wir, dass für den Herrn mit dem Kampfhund eher nicht das geschliffene Wort die Waffe der Wahl ist, und die Dame mit dem großen Tattoo oberhalb des Steißbeins im Zweifelsfall einer helleren Kunsthaarfarbe stärker zugeneigt ist als ihre Nachbarin mit den Trekkingsandalen. Der Weg zu solch komfortablem „Wissen“ führt für den Laien über eine Mischung aus Beobachtung, Vorverurteilung und Wunschdenken.

Es gibt aber auch eine professionelle Disziplin, die sich damit auseinandersetzt: Die Verhaltenspsychologie beschäftigt sich damit, menschliches Verhalten aufgrund statistischer Häufungen vorherzusagen. So können durch die Erstellung eines Persönlichkeitsprofils Rückschlüsse darauf gezogen werden, was der Untersuchte als Nächstes tun wird – eine Profession, mit der nicht nur die wachsende Zahl von Profilern in diversen Fernsehserien ihren Lebensunterhalt verdient. Auch der Münchner Psychiater und Notarzt Sebastian Friedrich begegnet dieser Aufgabe in seinem Berufsleben regelmäßig. Und genießt es auch außerhalb seiner Praxis, im Café zu sitzen, die Menschen um ihn herum zu studieren, aus Uhren, Körperschmuck und Socken Schlüsse auf ihre Ängste und Sehnsüchte zu ziehen. Mit der Pädagogin Anna Müller hat er ein Buch geschrieben, in dem er das Wissen aus langen Studien- und Kaffeehausjahren teilt, ohne jeden Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit. „Sag mir, was du magst, und ich verrate dir, wer du bist“ heißt das unterhaltsame Werk, in dem Friedrich penibel auflistet, was sich an der Art, wie ein Mensch seinen Koffer packt, ablesen lässt.

Zeig mir deinen Keller

Zu den Dingen, die sich Friedrich und Müller in ihrem Buch genauer angesehen haben, gehören so erwartbare wie der Einrichtungs- oder Kleidungsstil, Statussymbole wie Handy oder Uhr, das digitale Verhalten in den sozialen Medien und die Art, wie Menschen tanzen. Viel aussagekräftiger sind laut Friedrich aber oft andere Gebiete: „Ich mag gern diese Felder, deren die Menschen sich eben nicht so bewusst sind, wie beispielsweise den Zustand des Kellers“, berichtet er im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“, „denn das ist der Raum, der oft am wenigsten Aufmerksamkeit bekommt.“

Zu diesen generell mit weniger Aufmerksamkeit bedachten Details gehören in seinem Buch unter anderem auch die Entscheidung für die Socken oder die Art und Weise, wie der Einkaufszettel geschrieben ist. Steht zum Beispiel wirklich „Einkaufszettel“ drüber, oder gar „Einkaufszettel für den 28. Mai“? Wenn ja, handelt es sich bei seinem Urheber um einen eher zwanghaften Charakter, der sich ohne Einkaufszettel nackt fühlt. Besonders ausgeprägte Charaktere haben die Produkte auf dem Zettel auch bereits nach den Gängen im Supermarkt geordnet. Das Gegenstück ist der Kreative, für den das ganze Leben Kunst ist, die sich in Form von Blumen und Vögelchen auf der Liste wiederfinden kann. Gekauft werden beim Kreativen oft ganz andere Dinge als die auf der Liste.

In den Kellern der Menschen finden sich dagegen die Dinge, die eher nicht für die Öffentlichkeit gedacht sind. Wobei nicht jeder Kellerbesitzer Abgründe zu verbergen hat. So sind zum Beispiel die Besitzer von Hobbykellern laut Friedrich oft Menschen, die mit sich allein sein können und Abstand von anderen brauchen, um ihre Gedanken zu sortieren. Ganz im Gegenteil zu den Besitzern von regelrechten Rumpelkammern, die das Untergeschoß zum Vergraben und Verstecken von Altlasten und Dingen, mit denen sie sich nicht beschäftigen wollen, nutzen. Und dann gibt es natürlich noch den akribischen Lageristen, dessen Keller gut beleuchtet und nach Themen sortiert ist. Er hat sein ganzes Leben in Ordnung, ist schnell überfordert, wenn etwas nicht in sein System passt – und hat beim Einkaufen vermutlich einen Einkaufszettel mit Überschrift und Datum dabei.

Ein eigenes Kapitel ist auch dem Weihnachtsbaum gewidmet, denn vom Zeitpunkt und Ort des Kaufs über den Schmuck und die Platzierung bis zur Art der Entsorgung lassen sich die unterschiedlichsten Persönlichkeitsprofile ablesen. In anderen Kapiteln – wie beispielsweise in jenem über Zigarettenmarken – sind diese allerdings nur schwer nachvollziehbar. Was es aber umso unangenehmer für den Leser macht, wenn er auf die Marke stößt, die er lange Jahre bevorzugt hat, und dann feststellen muss, dass fast jedes Detail der beschriebenen Persönlichkeitsstruktur auf ihn passt.

„Mir geht es darum, den Blick der Menschen zu schärfen“, erklärt Friedrich seine Motivation, „denn wir alle sehen nur das, was wir wissen.“ Zum Beispiel: „Wenn Sie in München mit einem Kokainsüchtigen sprechen, wird der Ihnen sagen, dass ganz München nur aus Kokainsüchtigen besteht“, so der Psychiater. „Ich persönlich kenne keinen einzigen – so unterschiedlich sind die Blickwinkel.“

Respektvoll

Diese Perspektiven versucht er so respektvoll wie möglich zu vermitteln. Auch bei Klischeepersönlichkeiten wie dem „Boxentänzer“, der im Club stolz auf einer Erhöhung über der Tanzfläche seinen Körper bewegt, findet er vorsichtige Formulierungen, die sagen, dass dieser möglicherweise einer „beruflich unrepräsentativen Tätigkeit nachgeht“. „Jeder braucht schließlich Raum, sich zu zeigen, und wir wollen alle gemocht und gesehen werden.“ Das ist tröstlich angesichts der Vorstellung, was andere theoretisch über einen wissen können, weil sie schon einmal den Kühlschrank, Einkaufszettel und Weihnachtsbaum gesehen haben.

Neu Erschienen

„Sag mir, was du magst und ich verrate dir, wer du bist“
Was Vorlieben über unsere Persönlichkeit aussagen. Von Sebastian Friedrich und Anna Müller; mvg Verlag, 208 Seiten, 10,30 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2015)

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