Roland Neuwirth: "Humpa Humpa wollte ich nicht spielen"

Roland Neuwirth
Roland NeuwirthDie Presse
  • Drucken

"Reserve-Christus" hat man den langhaarigen Roland Neuwirth in den frühen Siebzigerjahren gerne genannt. Der Kontragitarrist wertete mit seinen Extremschrammeln das Wienerlied wesentlich auf.

Es geht das Gerücht, Sie zögen sich demnächst aus der Musik zurück. Stimmt das?

Roland Neuwirth: Mich ganz aus der Musik zurückzuziehen ist unvorstellbar, aber mit den Extremschrammeln höre ich auf. Ich werde weiterhin komponieren. Eine Schrammeloperette hab ich schon einmal verbrochen, die in Litschau sehr erfolgreich aufgeführt wurde. Mir läge daran, die Operette zu revolutionieren. Zeitkritisch soll sie sein, im Sinne von Jacques Offenbach.

Ihr letztes Studioalbum liegt schon neun Jahre zurück. Haben Sie den Tonträger aufgegeben?

Nein, überhaupt nicht. Aber Studioarbeit ist nicht etwas, das mir gefällt. Es ist eigentlich eine Onaniererei ohne Publikum. Dennoch arbeite ich derzeit an einem Album: „Das End vom Liad“. Weil's das letzte sein soll. Über die Jahre haben sich viele, sehr gute Lieder und Instrumentals angesammelt, Stücke, an denen mein Herz sehr hängt.

Auf Ihrer Homepage preisen Sie die komischen, die faszinierenden und die furchtbaren Eindrücke ihrer Kindheit als jene Prägungen, die ihren Weg ins Künstlertum geebnet haben. Werden heutige Kinder zu Vaserln, weil sie zu sehr verhätschelt werden?

Das könnte schon sein. Andererseits hatte ich in meinem jungen Leben keinerlei Selbstsicherheit. Ich und meine Freunde wurden alle von Minderwertigkeitskomplexen geplagt. Sehr viele sind daran zerbrochen. Die jungen Leute von heute haben eine Selbstsicherheit, die wir uns gewünscht hätten. Vielleicht zu Unrecht, aber umgekehrt wär's schlechter.

Sie verbrachten Ihre Kindheit zunächst in Floridsdorf, dann in Hernals. Waren Sie ein Gassenbub?

Überhaupt nicht. Ich bin streng erzogen worden. In den muffigen Hauseingängen hab ich spielen dürfen. Es war wie am Land, die Leute haben sich die Hendln im dritten Stock oben gehalten und im Lichthof haben sie Paradeiser gezogen. Wenn ein Fuhrwerk vorbeigekommen ist, hab ich immer den Pferdemist aufkehren müssen, damit die Leute im Haus einen Dünger gehabt haben. Dafür hab ich eine Zuckerschlange bekommen. Die Leute waren ganz einfach und sehr herzlich. Richtige Typen. Ich kann mich an keinen bösen Vorfall erinnern.

Seit 1990 leben Sie auch im Waldviertel.

Ich bin ein leidenschaftlicher Fischer, ich brauch meine Wildnis. Man könnte zwar auch ohne Angel vorm Wasser sitzen, aber der westlich geprägte Mensch braucht zumindest eine vorgeschobene Tätigkeit. Fangen tut er meistens eh nicht. Aber die Aussicht auf einen kapitalen Wels oder Hecht ist schon reizvoll. Am Fischwasser mag ich keine Termine im Hinterkopf haben.

Sie haben früh von Ihrem Onkel eine Mundharmonika geschenkt bekommen. Wie haben Sie sich das Spiel beigebracht?

Autodidakt natürlich. Bei Jedlesee war eine Eisenbahnbrücke. Da hab ich immer gewartet bis die Dampflok kam. Und sobald ich vom Dampf eingenebelt war, hab ich gespielt wie ein Wilder. Das hat mir irrsinnig viel gegeben. Vielleicht bin ich deswegen Raucher geworden.

Was war Ihre erste Gitarre?

Im Wäschekasten stand die vom Vater. Der hat uns gelegentlich darauf vorgespielt. Auch Wienerlieder. Statt Saiten waren Drahtseile aufgespannt. Eigentlich furchtbar, aber sie hat mich immer interessiert. Irgendwann durfte ich darauf spielen. Als Lehrbub hab ich mir dann auf Raten eine rosarote E-Gitarre gekauft. Damals war ich von den Pretty Things und der Spencer Davis Group begeistert. Den Hendrix hab ich auch gesehen im Konzerthaus. Ich bin drei Tage derrisch gewesen, so laut war es.

Trotz Ihrer musischen Sehnsüchte erlernten Sie zunächst den Beruf des Schriftsetzers.

Als Arbeiterkind hatte man nicht besonders viele Möglichkeiten. Ich hätte schon früh mit dem Musikerdasein spekuliert, aber die Lehrer waren nicht imstande, mir was beizubringen. Nicht einmal motivieren konnten sie. Spielen ist ja immer mit Arbeit verbunden. Am Instrument muss man täglich trainieren. Musik ist ein Handwerk, die Bezeichnung „Künstler“ stört mich. Weil ich gut in Deutsch war, hat man mich dazu gedrängt, etwas „Sicheres“ zu lernen. Dieser sichere Beruf ist, wie wir wissen, seit 35 Jahren ausgestorben.

Hansi Dujmic, der jung verstorbene Austropopper, hat Sie der Legende nach zu ihren ersten echten Gitarrenstunde überredet. Woher kannten Sie ihn?

Der Hans war eine ganz wichtige Figur in meinem Leben. Er war ein begnadeter Musiker, ein Bombengitarrist. Ich hab ihn beim Bluesspielen in den Jazzclubs kennengelernt, in der Zeit, in der ich noch tagsüber in der Setzerei gearbeitet habe. Er wusste, dass ich kreuzunglücklich war über den Job. „Komm doch zu uns auf die Hochschule“ hat er gesagt. Die Aufnahmeprüfung hatte es in sich. Für fünfzig Schilling hat er mir zweimal die Woche eine Stunde gegeben. Er war jünger als ich und sehr streng mit mir. Aber das war gut so. Ich hab mir die Finger blutig gespielt.

Aber in der Biografie eines Wienerliedmusikers macht es sich sehr gut, dass Sie in einer Partezetteldruckerei gearbeitet haben. Finden Sie nicht?

Doch. Im Nachhinein gesehen schon. Nach dem Bundesheer bin ich wie von unsichtbarer Hand zu dieser Bleisatzbude hingezogen worden. Ich bin mit den Leuten ins Gespräch gekommen und sie haben mich gleich aufgenommen. Es waren ein paar tragische Typen darunter. Einer hat sich aufgehängt, der andere hat sich in Goa den goldenen Schuss gesetzt. Schriftsetzer sind nicht ganz dumme Menschen. Dadurch wissen sie, wo sie stehen. Wenn ich in der Musik nichts gerissen hätt', vielleicht hätte ich mich auch aufgehängt. Ich weiß es nicht.

Sie haben Jazz gespielt und auch den Blues. Irgendwann aber gab es nur mehr das Wienerlied. Wie kam das?

Die Jazzszene war damals viel lebendiger als heute. Man hat eine unglaubliche Freude gehabt und jeder hat mit jedem gejammt. Als ich dann auf der Hochschule war, kam die Identitätskrise. Lange Zeit hab ich ja geglaubt, ich wäre ein Schwarzer aus Louisiana. Aber das stimmte dann doch nicht. Mein Vater hat diese Krise erkannt und mir vorgeschlagen, gleich ein Schrammelquartett zu gründen. Er hatte recht.

Wie haben Sie das Wienerlied näher kennen gelernt?

Ich hab mir wahnsinnig viel angehört. Unzählige Schellacks bei Sammlern wie Johnny Parth, der ja ausschließlich Blues und Wienerlied gehortet hat.

1974 haben Sie Ihr erstes Album „Zehn Wienerlieder und ein Fußpilz-Blues“ veröffentlicht. Wie war das?

Ich habe einander gegenseitig bedrohende Musikrichtungen zusammengeführt. Von Anfang an war ich ein Symbiotiker, habe Blues und Wienerlied melangiert. Das Wienerlied war damals am Boden. Einzig Karl Hodina hat etwas Relevantes gemacht. Er war auch so lieb und hat mir einmal eine Kontragitarre geschenkt.

Das Wienerlied ist für seine starken Melodien bekannt. Woraus werden sie geschöpft?

Musik ist für mich untrennbar mit der Sprache verbunden. Aus ihr entwickeln sich auch die Melodien. Es ist kein Zufall, dass sich bei uns der 3/4-Takt entwickelt hat. Auch die k.u.k. Militärmusik war wichtig fürs Wienerische. Die war mit ihrer reichen Melodik eigentlich wehrkraftzersetzend.

Stießen Sie in der Wienerlied-Szene nicht auf Widerstand mit ihren langen Haaren und dem wallenden Bart?

Natürlich. Mit Lederjacke und langen Haaren zum Heurigen zu gehen und dann Cola statt Wein zu trinken, das war schon subversiv. Die Betreiber der Heurigenlokale mochten mich zu Beginn nicht. Sie meinten, ich brächte die falschen Leut' ins Lokal. „Humpa Humpa“ wollte ich auch nicht spielen. Wir wollten grooven, also verwendeten wir Verstärker.

Beim Heinz Conrads waren Sie eingeladen?

Wir wollten uns selber einladen, weil wir glaubten, ein geeignetes Stück zu haben. Es hieß „Husch, husch in d' Gruabn“ und kritisierte die trotzig intolerante Kriegsgeneration. Wir haben uns Fluchtwege ausgedacht, als wir draufkamen, dass die Sendung aufgezeichnet und nicht live gesendet wurde.

Sie haben mit Karl Ratzer das wunderbare „Gehen S', Herr Nachbar“ aufgenommen. Wie kam das?

Er ist ein wunderbarer Gitarrist. Ihm führt Gott die Hand. Egal in welchem Zustand er ist, er spielt im Liegen immer noch besser als jeder andere. Leider hat er sich ruiniert. Aber wie sagte Peter Rühmkopf so schön: „Wer sich nicht ruiniert, aus dem wird nichts.“

Herr Neuwirth, darf man Sie auch fragen...


1. . . wie Sie auf den Namen Extremschrammeln kommen?

Den Namen hat uns ein Journalist verpasst. Weil wir extrem waren. Der Sound war so: Wenn der Geigenbogen angesetzt hat, hat es dir die Gehirnhaut durchtrennt. So rotzig und wild waren wir.

2. . . ob Sie was gegen das Schönbrunner-Deutsch haben?

Überhaupt nicht. Diese ganzen Facetten des Wienerischen sind wunderschön. Aber meine Liebe gilt dem g'scherten Weanarisch, das ist die Basis.


3... was das Wesen des Wienerischen ausmacht?

Das Chamäleonhafte, das Charakterschwache. Der Wiener verachtet die Welt immer nur ein bisserl. Er leistet sich den Luxus einer gewissen Provinzialität. Und er verwendet den Konjunktiv fast inflationär. „I warat jetzt do“ – was für ein Ausdruck!

Steckbrief

1950 wird Roland Neuwirth in Wien geboren. Er wächst in einem Gemeindebau in Floridsdorf auf. Vom Onkel bekommt er mit fünf Jahren eine Mundharmonika geschenkt.

1963 beginnt Neuwirth, autodidaktisch Gitarre zu spielen.

1965 beginnt er eine Lehre als Setzer, daneben spielt er in Bands.

1973 nimmt er sein Gittare-Studium bei Luise Walker an der Hochschule für Musik in Wien auf.

1974
gründet er die Neuwirth-Schrammeln, später Extremschrammeln. Im Herbst soll sein letztes Album erscheinen.

Aktuelle Termine:
12. August:
Klagenfurt, Minimundus

29. September: Jubliäumsprogramm: 40 Jahre Extremschrammeln im Wiener Stadtsaal www.extremschrammeln.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.