Hermès in der Wiener Hofreitschule: Kein Zaumzeug für eine Saison

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Festival des Métiers. Guillaume de Seynes, Vorstand und Familienmitglied von Hermès, über Apple Watch, Houellebecq und den Weg von Sätteln zu Krawatten.

Die Presse: Wir sind in der Spanischen Hofreitschule. Sind Sie Reiter?

Guillaume de Seynes: Einige in der Familie reiten. Mich hat man mit acht auf ein Pferd gesetzt, aber ich mochte es nicht sehr gerne, und das war's dann. Aber ich liebe Pferde aus ästhetischen Gründen und schaue gerne zu.

Thierry Hermès war Sattler. Ist der Bereich noch wichtig für Hermès?

Am Anfang hat er Pferdegeschirr hergestellt. Sättel folgten schnell. Es ist heute nur ein kleiner Teil unseres Geschäfts, aber aus zwei Gründen wichtig. Erstens, weil wir nie vergessen, dass das Pferd unser erster Kunde war. Das hat die Ästhetik und den Stil des Unternehmens beeinflusst. Und wir sind stolz, heute noch bis zu 500 komplett handgefertigte Sättel im Jahr herzustellen, in unserem historischen Gebäude in der Rue du Faubourg Saint-Honoré, wo unsere Werkstatt immer noch ist. Aber es ist auch deshalb wichtig, weil eine Säule unseres Unternehmens Handwerk und Langlebigkeit sind. Die Idee eines funktionalen Objekts. All das kommt von unserem Gründer, der von Anfang an die besten und gleichzeitig elegantesten und leichtesten Geschirre herstellen wollte, aber auch die stabilsten. Wenn wir bei Hermès von Qualität sprechen, sprechen wir immer von langlebiger Qualität. Wir sind nicht als Couturier entstanden, sondern als Geschirrmacher. Man kauft kein Pferdegeschirr für einen Abend oder eine Saison.

Heute kann man von Hermès alles für sein Pferd kaufen. Wer kauft diese Produkte?

Der wichtigste Markt für Reitzubehör ist Amerika. Die Geschichte Amerikas wurde vom Pferd geprägt. Seit den 1920ern verkaufen wir dort Reitzubehör. Mein Großvater wollte damals unbedingt nach New York. Seitdem wird Hermès dort, mehr als in Europa oder Asien, über seine Verbindung zur Welt der Pferde wahrgenommen.

Wie kam der Schritt zur Seide?

Über die Jockeys, die wir mit Dressen ausgestattet haben. So kam man auf die Idee, im Geschäft auch Accessoires für die Damen anzubieten. Die Krawatten sind dann später in Cannes entstanden. Unser Geschäft lag gegenüber des Casinos – und der Storemanager war es leid, ständig nach Krawatten gefragt zu werden. Also hat er in Lyon verschiedene Modelle eingekauft und angeboten. Mein Großvater fand die Idee großartig, seither kommen sie von uns. Es gibt zu allem, was wir tun, eine Verbindung.

Kann man immer noch herausfinden, wer die eigene Tasche gemacht hat, um sie reparieren zu lassen?

Ja und nein. Jede Tasche wird von einer Person gemacht, und auf jeder Tasche steht das Jahr, und je ein Buchstabe für die Fabrik, die Werkstatt und den Handwerker. Aber wir haben auch eine zentrale Reparaturabteilung. Es ist selten, dass etwas wirklich ganz zurück zum ursprünglichen Handwerker muss. Aber: Im Juni haben wir eine neue Fabrik eröffnet. Plötzlich hat eine der Täschnerinnen die private Tasche einer Kollegin aus dem Unternehmen gesehen und gesagt: Das ist meine Tasche! Es war eine ungewöhnliche Farbe, und sie hatte wirklich diese Tasche gemacht. Es war ein ziemlich bewegender Moment. Seit vier Jahren haben wir im Haus auch ein Austauschprogramm, wo ein Handwerker für eine Woche in ein Geschäft kommt und mit einem Verkäufer zusammengespannt wird. Danach kommt der Verkäufer in die Werkstatt. Unsere Mitarbeiter lernen so das andere Universum kennen.

Ist das auch die Idee hinter dem Festival des Métiers?

Genau. Es dient dazu, unser Know-how zu zeigen, aber auch mehr: Es ist kein Fenster, es ist ein Dialog. Deshalb hat jeder Handwerker einen Übersetzer, wenn er nicht deutsch spricht. Auf früheren Ausstellungen sind Besucher zwei oder drei Stunden geblieben und haben Fragen gestellt. Und die Antworten sind die des Handwerkers, nicht die offiziellen Antworten von Hermès. Wir kontrollieren nicht, was sie sagen.

Es gibt heute ein neues Bewusstsein für Handwerk. Gab es einen Punkt in der Firmengeschichte, an dem das Bekenntnis dazu nicht so sicher war?

Ich erinnere mich, dass mein Großvater in den Siebzigern beobachtet hat, dass die Mitbewerber immer mehr auf Maschinen nähen. Da hat man kurz überlegt: Ist es richtig, immer noch mit der Hand zu nähen? Offensichtlich war die Antwort: ja.

Merken Sie das neue Bewusstsein?

Was wir sagen können, ist, dass das Unternehmen wächst. Vor allem in den vergangenen fünf Jahren haben wir starkes, sicheres Wachstum verzeichnet. Das hängt sicher mit der Verbindung von Handwerk und Qualität mit Stil und einigen ikonischen Taschen wie der Birkin oder der Kelly Bag zusammen. Aber ich glaube, diese Taschen sind deshalb ikonisch, weil ihr Stil von der Sattelnäherei kommt. Das ist eine Ästhetik für sich. Wir sehen sicher mehr denn je Respekt für und Sehnsucht nach diesen Produkten. Aber das stellt uns auch vor die Herausforderung, das richtige Leder zu finden.

Erst kürzlich kam die Meldung, dass die Birkin Bag ihren Namen behält, Jane Birkin sei beruhigt in Bezug auf die Herkunft des Leders.

Absolut. Aber es gibt einen generellen Mangel an hochqualitativen Materialien. Weil sich Einflüsse ändern, das Wetter oder die Lebensweise. Guter Kaschmir war eng mit einer sehr traditionellen Lebensweise der Menschen in der Mongolei verbunden. Die Modernisierung des Landes ändert diesen Lebensstil. Das Gleiche gilt für die Seide aus Brasilien. Die heutige Lebensweise macht es schwerer, gute Qualität zu bekommen. Es ist eine Herausforderung. Und wir investieren in Qualität. Wenn ein spezielles Wissen oder Produkt bedroht ist, sind wir bereit zu investieren.

Von Tradition zu Hightech: Wie kam es zur neuen Hermès Apple Watch?

Bis heute hat Apple keine Art von Co-Branding gemacht und Hermès auch nicht. Dann hat Apple ein paar Manager aus der Modebranche angestellt, und einer fragte uns, ob uns das interessieren würde. Wir konnten es uns vorstellen. Und ich muss sagen, das Geheimnis wurde gut gehütet, bis wir es im September verkündet haben.

Weil wir auch neben der Österreichischen Nationalbibliothek sind – und Sie immer ein Buch mithaben: Was lesen Sie?

Ich habe gerade ein Buch eines sehr berühmten französischen Autors begonnen, der ein bisschen kontroversiell ist – Michel Houellebecq. Ich habe sein neues Buch mit, „Unterwerfung“. Aber ich habe eben erst begonnen.

AUF EINEN BLICK

Das Festival des Métiers entstand aus einer Schau 2012, bei der Hermès sein Handwerk präsentierte. Gezeigt werden neun Bereiche, mit dabei sind Sattler, Taschner, Uhrmacher, Seidendrucker, Schnitzer, Krawatten-, Handschuhmacher und Porzellanmaler. Man freut sich über den Austausch mit Kollegen. Eröffnet wurde das Festival am Montag von Guillaume de Seynes. Er ist Vorstand, Qualitätsverantwortlicher und Familienmitglied in sechster Generation. Spanische Hofreitschule, bis 27. September, täglich von 13 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2015)

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