Schickhofer: Die letzten wilden Wälder

Unser Urwald
Unser UrwaldBrandstätter Verlag
  • Drucken

Matthias Schickhofer hat Europas Urwälder bereist. Er dokumentiert, wie Bäume wachsen, kommunizieren und zerfallen, wenn man sie nur lässt.

Der Urwald ist ganz in der Nähe. Oder zumindest Szenarien, wie man sie in einem echten Urwald sehen könnte – oder, wie sie Schauplatz von Fantasy-Szenarien sein könnten. Jahrhundertealte Buchen, zerfallende Bäume, besiedelt von Pilzen, Moos und Getier. Wälder, in die seit Jahrzehnten kein Förster mehr eingegriffen hat. „Diese Buchen“, sagt Matthias Schickhofer, „sind wohl an die 300 Jahre alt. Die schauen uns seit Metternichs Zeiten von da oben zu.“

Die riesigen Buchen stehen im Wienerwald, in einem Naturwaldreservat in Hütteldorf. Wo genau das Waldstück ist, das ist nur durch blaue Striche an Bäumen gekennzeichnet, Schilder gibt es nicht, das Forstamt will verhindern, dass der Wald von Sonntags-Spaziergängern zertrampelt wird. Die Naturwaldreservate (so eines gibt es beispielsweise auch im Lainzer Tiergarten, den 400 Jahre alten Eichenwald Johannser Kogel) sind Waldstücke, die aus Naturschutz- und Forschungsgründen ihrer natürlichen Entwicklung überlassen werden. „Das ist ein Wald, wie ihn der Herrgott eigentlich haben wollte“, sagt Schickhofer. Und davon gibt es heute nur noch wenige.

Verborgene Orte in Europa

Schickhofer, Naturschutz-Aktivist und Fotograf, hat sich für seinen jüngst erschienenen Bildband „Unser Urwald. Die letzten wilden Wälder im Herzen Europas“ in ganz Europa auf die Suche nach echten Urwäldern gemacht. Also nach Wäldern, in denen noch nie ein Baum gefällt wurde – oder Menschen in irgendeiner anderen Form eingegriffen haben. Und hat für seinen opulenten Bildband Wälder an verborgenen Orten, oft nicht weit weg von den Metropolen Europas, zwischen Südschweden, dem Balkan oder Rumänien, wo die größten Urwälder Europas außerhalb von Russland überlebt haben, fotografiert.

Vor allem dort, im Osten Europas, schreitet die oft illegale Rodung der letzten Urwälder rasant voran. Dabei finde man dort Landschaften wie aus den „Herr der Ringe“-Verfilmungen. Etwa im Uholka-Urwald in der Ukraine, mit 15.000 Hektar der größte Rotbuchenurwald der Welt. Oder in den unberührten Wäldern der Gebirge Bosnien-Herzegowinas – Landschaften aus Flüssen, Schluchten und Wasserfällen, in denen aktuell hunderte Wasserkraftwerke geplant sind, wie Schickhofer erzählt. Er, Jahrgang 1967, ist seit seiner Kindheit in Wäldern unterwegs. Aufgewachsen im Waldviertel, waren ihm die Wälder um Zwettel oder die Moore des Kamptals als Teenager Rückzugsort. „Die Faszination hat mich nicht mehr losgelassen“, sagt er. Und als ihm, damals 13, sein Vater eine erste Zeiss-Kamera geschenkt hat, war der Grundstein zum Naturfotografen quasi schon gelegt.

Unser Urwald
Unser UrwaldBrandstätter Verlag

2013 ist schließlich sein Fotoband „Unser Urwald“ über die Ur- und Naturwälder Österreichs erschienen. Österreichs einziges streng geschütztes Naturreservat, den Rothwald, einen echtenUrwald südlich des Dürrenstein-Massivs, findet man auch in seinem jüngsten Band. Auch im Dachstein-Gebiet, am Warscheneck oder in den Tauern findet man noch ursprüngliche Wälder. Der Wiegenwald im Stubachtal, einer der urigsten Zirbenwälder der Alpen, ist für Schickhofer „einer der schönsten Flecken überhaupt“. Die unberührten Wälder sind auch abgesehen von den surrealen Gestalten und Formen interessant. Schickhofer nennt sie einen „ökologischen und genetischen Schatz“. Wachsen doch dort, anders als in bewirtschafteten Wäldern, Bäume verschiedener Arten und Altersgruppen.

Diese kommunizieren zum Beispiel mit den jüngeren Bäumen, sind über das Wurzelwerk mit ihren Abkömmlingen verbunden und versorgen diese in schlechten Zeiten mit Nährstoffen. Oder sie leben in Symbiosen mit seltenen Pilzen, die in Wirtschaftswäldern nicht mehr vorkommen, oder versorgen das Ökosystem im Zerfall mit Nährstoffen. „Unsere letzten Urwälder sind die Botschafter einer alten Welt, in der die Evolution noch ungestört walten kann“, sagt Schickhofer. „Sie haben über Jahrtausende stabile Systeme geschaffen. Wir sollten auf diese ,Tore von Mittelerde‘ gut aufpassen.“

ZUR PERSON

Matthias Schickhofer, Jahrgang 1967, hat als Umweltfotograf Wälder in ganz Europa fotografiert. Seit mehr als 20 Jahren ist er als Naturschützer aktiv: unter anderem als Kampagnen-Direktor bei Greenpeace oder als freiberuflicher Stratege. Aufgewachsen im Waldviertel, interessieren ihn künstlerisch vor allem Strukturen, Stimmungen und die Vielfalt der Wälder. Sein Bildband „Unser Urwald. Die letzten wilden Wälder im Herzen Europas“ (192 Seiten, 130 Abbildungen, 34,90 Euro) ist Ende September im Brandstätter-Verlag erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.