Kunst im Gemeindebau: Von Helden, Affen und Weihnacht

 Monica Haas
Monica Haas (c) Stanislav Jenis
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Künstler haben gemeinsam mit Bewohnern der Wohnsiedlung Am Schöpfwerk sechs Interventionen über „Nehmen und Geben“ erarbeitet.

Ganz neu ist es für Monica Haas ja nicht, dass sich fremde Menschen auf ihrer Terrasse in der Wohnsiedlung Am Schöpfwerk tummeln. Immerhin wurde ein Stockwerk tiefer vor gut 20 Jahren die Kleinbürgersatire „Muttertag“ gedreht. „Und bei uns war die Beleuchtung“, sagt die 63-Jährige. An diesem Abend ist Haas aber mittendrin: Im Affenkostüm steht sie am Geländer und gibt die Bananen und Bierdosen, die Künstlerin Andrea Maurer (37) via Seilbahn vom Hof nach oben schickt, an die Besucher weiter (oder auch nicht). Die diese wiederum gegen Ballons mit Luftpost tauschen. Ein absurder Warenkreislauf.

Monica Haas und ihre Tochter Julia (25) sind Kunstgastgeberinnen im Gemeindebau – ihre Terrasse ist eine von sechs Performances der Projektreihe, die heuer zum fünften Mal stattfindet (siehe Factbox). Mithilfe des Nachbarschaftsservices Wohnpartner wurden Bewohner und Künstler zusammengebracht. Mehr oder weniger gemeinsam erarbeiteten diese seit Juni Interventionen zum Thema „Nehmen und Geben“ – von Waren, Freude, Angst, Ideen. Die Impulse dafür liefern zeitgenössische Robin Hoods wie der Spanier El Lute (einst Dieb, heute Anwalt) oder der katalanische Antikapitalist Enric Duran, die durch „illegale Umverteilungsarbeit“ berühmt geworden seien, wie Kurator Gerald Straub es nennt. Dass man davon kaum etwas mitbekommt – außer, wenn auf Haas' Terrasse alle dazu angehalten werden, dreimal laut „El Lute“ zu rufen –, macht nichts: „Ihre Biografien sind lediglich ein Rahmen, an dem man sich festhalten kann.“

„Wie ein Gedicht von Ernst Jandl“

Dass generell nicht viel erklärt wird, gehöre dazu, sagt Straub, der das Projekt seit Beginn (mit-)kuratiert hat: „Jetzt ist es wie ein Gedicht von Ernst Jandl: Man wird da hineingeschossen, schaut sich das an und denkt sich: ,What the fuck!‘“ Und wird dabei zwangsläufig mit seinen Erwartungshaltungen über Kunst, Performance, Gemeindebau konfrontiert. Nachdem man zwei Stunden lang durch Innenhöfe gejagt, durch enge Gänge und weitläufige Stiegenhäuser geschleust wurde, hat man sich daran schon ein bisschen gewöhnt, als man in Tamara Strobls Wohnung steht. Im grünen Umhang voller roter Hände aus Papier sitzt die 40-Jährige da auf einer Art Thron in ihrem Wohnzimmer, im Hintergrund ein kleines Stück eines Weihnachtslieds in Endlosschleife. „Wir feiern Gibnachten“, erklärt Medienkünstler Matthias Meinharter (44), im goldenen Jackett: Jeder Besucher muss etwas herschenken – bekommt aber nichts.

Das werfe die Frage auf, ob Geben und Nehmen immer auf Reziprozität beruhen müssen, sagt Gerald Straub. Genauso, wie auch bei den Affen – übrigens eine Referenz auf die New Yorker Gorilla Girls, feministische Gegenstücke zu den üblicherweise männlichen Volkshelden – derartige Muster hinterfragt werden. Waren werden weitergegeben, zurückgeschickt, gegen Ballons getauscht, die letztlich losgelassen werden. Künstlerin Andrea Maurer: „Das ist total unlogisch – und bricht mit den Konventionen von Geben und Nehmen in der Konsumwelt.“

AUF EINEN BLICK

Kunstgastgeber Gemeindebau findet zum fünften Mal statt. Künstler präsentieren mit Bewohnern der Wohnsiedlung Am Schöpfwerk in Wien Meidling sechs performative Interventionen. Projektpartner sind Kunst im öffentlichen Raum (KÖR), Wiener Wohnen und Wohnpartner. Vier Mal kann man die Tour noch absolvieren: am 3., 9., 10. und 15. 10., jeweils um 17.30 Uhr. Die Tour ist kostenlos. Um Anmeldung wird gebeten unter office@koer.or.at oder 01-521891257.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2015)

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