Digitale Klosprüche

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Anonyme Chat-Apps wie Yik Yak, Peeple und Whisper ermöglichen es, Menschen zu bewerten. In den USA wurde so bereits mit Morden und Vergewaltigungen gedroht. Die Opfer dieses Mobbings sind meistens hilflos.

Die Botschaft war ebenso eindeutig, wie sie anonym war: „Ich werde morgen meine Stellung verteidigen und jede schwarze Person erschießen, die ich sehe.“

So gut wie alle Studenten der University of Missouri hatten diese Gewaltandrohung Anfang vorletzter Woche sofort auf den Bildschirmen ihrer Mobiltelefone, denn wer heute an einer amerikanischen Hochschule eingeschrieben ist, kann sich der anonymen Chat-Applikation Yik Yak kaum entziehen. Erst seit Ende 2013 gibt es dieses kostenlose digitale Tratschprogramm, das von Tyler Droll und Brooks Buffington, zwei damals 24-jährigen Verbindungsbrüdern an der Furman University in South Carolina, erfunden wurde. Sie haben eine Software geschaffen, mit der man ausschließlich mit anderen Benutzern im Umkreis von rund 2,5 Kilometern die Wichtig- und Nichtigkeiten der Welt kommentieren kann. Yik Yak ist also ein anonymisiertes Chatprogramm für räumlich eingegrenzte Gruppen, die gemeinsame, durchaus spezielle Interessen teilen – und somit ideal für den Einsatz an Colleges und Universitäten, wo „to yak“, umgangssprachlich „dahinplappern“, ein seelisches Ventil für Prüfungsdruck ist.

Ausgehend von einigen Hochschulen in den US-Südstaaten verbreitete sich Yik Yak, das seinen Namen dem Popsong „Yakety Yak“ aus dem Jahr 1958 verdankt (Drolls Eltern schlugen ihn vor; von ihnen stammte auch das Startkapital) und als Symbol ein zotteliges asiatisches Wollrind namens Yak hat, rasch in den gesamten Vereinigten Staaten. Spring Break 2014, die Frühlingsferien, in denen US-Collegestudenten traditionell die Sau rauslassen, hat den Durchbruch gebracht.

Rasch begannen die Probleme. Die Verbindung aus Anonymität und Nähe machte Yik Yak zu einem beliebten Mobbingmittel: ein Aufruf zu einer Gruppenvergewaltigung am Kenyon College in Ohio, die Hetzkampagne gegen Maxwell Zoberman, einen Studenten, der sich nach einer Welle rassistischer Yik-Yak-Meldungen am Clemson College in South Carolina für ein Verbot starkmachte („Fußgänger hassen Radler, Radler hassen Fußgänger, aber alle hassen Max Zoberman“, lautete einer der Yaks), mehrere Drohungen, Massenmorde zu verüben, wie jene eingangs beschriebene an der University of Missouri.


An Schulen geht es nicht. Immerhin wurde deren Verursacher schon am nächsten Tag verhaftet. Der 19-jährige Student Hunter Park hatte das Kleingedruckte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht gelesen: Wenn die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl bei Yik Yak anklopft, ist die Anonymität der Verwender rasch gelüftet. An rund 90 Prozent aller amerikanischen Schulen funktioniert Yik Yak ohnehin nicht – allerdings auch erst nach massiver Kritik von Eltern und Lehrern. Yik Yak errichtete daraufhin einen sogenannten Geo Fence, einen digitalen Schutzzaun um die Schulen, innerhalb dessen die App nicht funktioniert.

Doch in den meisten Fällen sind die Opfer des über Yik Yak gespielten Mobbings hilflos. Die Firma kooperiert zwar mit der Polizei, doch einen Gerichtsbeschluss gegen unbekannt zu erwirken ist oft aussichtslos.

Deutlich anders funktionieren soll die Applikation Peeple, die zwei Amerikanerinnen noch im November auf den Markt bringen wollen: Hier sollen Nutzer andere nur bewerten dürfen, wenn sie mindestens 21 Jahre alt sind, ein Facebook-Profil und eine Handynummer von dem Menschen haben, über den sie (be)richten wollen. Allerdings sahen sich Julia Cordray und Nicole McCullough schon vor dem Start mit massiver Kritik konfrontiert, sodass sie die Grundeinstellungen ihrer App änderten. Bewertungen werden nun nur freigeschaltet, wenn der Betroffene auch bei Peeple angemeldet ist und den Text über sich freischaltet. „Langweilig!“, rufen da prompt diverse Nutzer und sagen Peeple keinen Erfolg voraus. Wer würde schon Beschimpfungen oder Lügen über sich selbst freischalten?

Bis nach Österreich hat es die App Yik Yak übrigens noch nicht geschafft (in die Schweiz interessanterweise schon). Aber es gibt einige andere ähnliche anonyme Chatprogramme wie Whisper oder Secret. Seit ein paar Monaten ist zudem die deutsche App Jodel bei uns erhältlich und erfreut sich – wie Vorbild Yik Yak – vorwiegend unter Studenten großer Beliebtheit. 800.000 Nutzer soll die App mittlerweile haben, die sich selbst die Zuschreibung „anonymer Campus-Talk“ gibt. Auch auf Jodel kann man ähnlich wie bei Yik Yak anonym posten und sieht alle Kommentare zu einem Thema in einer bestimmten Reichweite. Wer bedenkt, wie viel sinnlose Kommentare manche Nutzer auf personalisierten Profilen von Facebook oder Twitter abgeben, kann sich ausrechnen, welche Auswirkungen die Anonymität der Nutzer auf das Niveau der Konversationen hat. So werden hier vor allem Vorlesungs- oder Fernsehinhalte kommentiert, Tipps fürs Mittagessen ausgetauscht, oder es wird wahllos geflirtet – wobei sich bei Letzterem die Frage stellt, wie das geht: Flirten mit einem Gegenüber, das man weder kennt noch sieht, und das im Beisein von Dutzenden anderen unbekannten Mitlesern?

Die gemeinsame Klammer der Nutzer in diesem Netzwerk ist nur der gemeinsame Ort. Auch bei Jodel gab es bereits fragwürdige Kommentare und eine Amoklaufdrohung an der Universität von Lund. Bei sexistischen, fremdenfeindlichen oder anderen unangemessenen Kommentaren können Nutzer einschreiten und den Kommentar negativ bewerten; sobald dieser den Wert minus fünf hat, wird er gelöscht. Yik Yak

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2015)

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