Jaafar Abdul Karim: "Es war wie zwei Stiche in mein Herz"

(c) Florian Reischauer
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Mit seiner in Berlin produzierten Sendung »Shababtalk« erreicht der Libanese Jaafar Abdul Karim ein Millionenpublikum im arabischen Raum. Ein Gespräch über die Anschläge in Paris und Beirut, über die notwendige und manchmal schwierige Objektivität bei der Arbeit.

Sie sind Journalist und Moderator der kritischen Jugendsendung „Shababtalk“ im Programm der Deutschen Welle. Die Sendung wird im arabischen Raum von einem Millionenpublikum gesehen. Normalerweise stellen also Sie die Fragen. In jüngster Zeit werden Sie, nicht zuletzt aufgrund Ihrer Herkunft, aber immer öfter befragt. Wie fühlt sich das an?

Jaafar Abdul Karim: Ich bin auf jeden Fall lieber Moderator und Journalist. Das Interesse an meiner Person ist in letzter Zeit sehr groß. Die Zuschauer und die Menschen haben natürlich das recht zu wissen, wer ich bin, was ich tue und wofür ich stehe. Dennoch möchte ich so neutral und objektiv wie möglich bleiben.

Wie schwer oder leicht fällt es Ihnen denn, während einer Sendung neutral zu bleiben?

Es unglaublich schwer, sich zurückzuhalten. Aber dann denke ich immer daran, dass nicht ich das Thema bin, sondern, dass ich über das Thema berichte. Ich bin da, um anderen eine Stimme zu geben, teile aber auch gern meine Erfahrungen, nicht jedoch meine politische Meinung mit.

Warum?

In den arabischen Ländern spreche ich als Journalist oft kontroverse und gesellschaftskritische Themen wie Religion, korrupte Politik oder Homosexualität an. Wenn ich eine Meinung äußere oder mich auf eine Seite schlage, ist das schlecht. Die Gäste würden das merken und sich zu Recht fragen, ob ich objektiv bin.

Aber Sie werden doch für etwas stehen, von dem auch die Menschen im arabischen Raum wissen?

Ich stehe für Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass jeder das Recht hat, so zu sein, wie er oder sie sein möchte – in Deutschland im Rahmen des Grundgesetzes. Ich bin gegen die Unterdrückung von Menschen, nur weil sie bestimmter Herkunft sind, einer bestimmten Klasse oder Religion angehören. Das ist mir sehr wichtig.

In den arabischen Ländern funktioniert das von Ihnen Angesprochene aber nicht.

Ich bin häufig in den arabischen Ländern unterwegs und sehe viel Energie in den Menschen. Aber nur weil die Leute dort geboren und aufgewachsen sind, bekommen sie nicht die gleichen Chancen wie etwa Europäer. Die Menschen dort sind auch kompetent, wollen etwas aus ihrem Leben machen, haben Träume und Ambitionen. Ich versuche, ihnen zu vermitteln, dass es okay ist, eine Meinung zu haben, auch wenn gewisse Dinge nicht akzeptiert sind. Es tut mir weh zu sehen, dass etwa Frauen, nicht das Gleiche wie ein Mann machen dürfen.

Wieso sind die arabischen Staaten Ihrer Meinung nach nicht so weit, um eine offene Gesellschaft führen zu können?

Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Was ich aber sehe, ist, dass viele junge Leute eine Sehnsucht nach Veränderung haben. Die politische Lage vor Ort macht das jedoch schwierig.

Sind Sie Anfeindungen ausgesetzt, weil Sie Themen erörtern, die sonst niemand besprechen würde?

Ja, natürlich. Es gibt Beleidigungen, Anfeindungen, Drohungen – alles, was dazugehört. Aber das ist Teil des Jobs. Ich nehme das nicht persönlich, solange es nicht um meine Sicherheit geht. Da ich für Meinungsfreiheit stehe, muss ich auch zulassen, dass mich andere kritisieren.

Sie sind nach den Anschlägen von Paris in die französische Hauptstadt gereist. Warum?

Ich wollte nicht darauf warten, was Medien berichten, sondern mir selbst ein Bild vor Ort machen. Ich hatte so viele Fragen, und die Antworten darauf wollte ich fühlen und direkt in den Augen der Menschen lesen. So sehe ich mich als Journalist.

Sie vereinen die arabische und die europäische Welt. Wie geht es Ihnen nun nach den verheerenden Attentaten?

Ich wurde nun sozusagen zwei Mal getroffen. Meine Eltern stammen aus dem Libanon, und ich fühle mich als Europäer. Ich schätze und lebe den europäischen Lebensstil. Die Terroranschläge in Paris und Beirut haben gezeigt, dass der Terror alle treffen kann, egal, wo wir sind. Es war wie zwei Stiche in mein Herz.

Ihre Sendung wird nicht nur im deutschen Studio produziert. Es gab auch einige Aufzeichnungen im Ausland, beispielsweise im Irak. Haben Sie da keine Angst?

Die Journalisten vor Ort haben mir diese Frage ebenfalls gestellt. Ich kann dazu nur sagen, dass den Menschen auch dort etwas Schreckliches passieren kann. Ich bin aber nicht besser als sie. Natürlich gibt es ein Risiko, und es ist nicht ungefährlich. Aber in dem Moment, in dem entschieden wurde, die Sendung an einem der Orte zu produzieren, setzen wir das um. Es gibt Menschen, die dort leben, warum soll ich also nicht hinfahren?

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein, damit beschäftige ich mich nicht. Ich bin zu lebendig, um über den Tod nachzudenken. Und wenn es passiert, kann ich ohnehin nichts machen.

Sie sind selbst sind im Libanon aufgewachsen und erst später nach Europa gekommen. War das hier eine Art Kulturschock für Sie?

Ich kam als Kind nach Europa. Da denkt man nicht über so etwas nach. Ich kann mich an meine Schule und an das Fußballspielen erinnern, es war eine schöne Zeit. Ich weiß aber nicht mehr, ob ich mich besonders darum bemüht habe, die Sprache zu lernen oder mich anzupassen.

Waren Sie je mit Alltagsrassismus konfrontiert?

Nein, Fremdenfeindlichkeit habe ich bisher nie erlebt. Außer ein Mal, als ich aus Dresden über die islamfeindliche Pegida-Bewegung berichtet habe. Ich fühle mich hier in der Gesellschaft wohl und nicht als Außenseiter. Ich bin in Europa zu Hause, aber eben auch in den arabischen Ländern. Ich spreche beide Sprachen, kann mich mit beidem identifizieren. Im Kopf bin ich aber wohl mehr Europäer.

Würden Sie sich als Vorzeigemigrant bezeichnen?

Nein. Es gibt im Alltag viele Menschen, die man nicht kennt und die Unglaubliches leisten.

Würden Migranten oder Flüchtlinge nicht eher auf Leute wie Sie statt auf Politiker hören?

Das Vertrauen zu mir ist groß, weil die Menschen durch meine Herkunft und meine Arabischkenntnisse das Gefühl haben, ich sei einer von ihnen, was ich nicht bin. Wenn ich mit Migranten oder Flüchtlingen rede, öffnen sie sich mir gegenüber. Das hilft auf jeden Fall. Als ich neulich in einem deutschen Flüchtlingsheim war, habe ich den Leuten aus meiner Kolumne vorgelesen, die ich für Zeit Online geschrieben habe. Da ging es um die Werte der deutschen Gesellschaft. So ein Akt kommt dann eher vermittelnd an. Ich meine, das ist auch die Rolle, die deutsche Migranten einnehmen sollten. Sie sollten als Mediator agieren.

Wie haben die Menschen reagiert, als sie zu hören bekommen haben, dass in Deutschland nicht jeder gläubig und manche auch homosexuell sind?

Unterschiedlich. Manche Reaktionen waren eher positiv, andere eher negativ. Aber es ist eine Diskussion entstanden. Das ist doch das Wichtigste. Wir wollen, dass sich Flüchtlinge an unser Wertesystem anpassen. Aber wenn wir nicht proaktiv an die Dinge herangehen, wie sollen die Menschen es dann lernen? Begegnungen sind wichtig, die Menschen damit zu konfrontieren auch – solange es auf Augenhöhe geschieht. Die Leute kommen aus einem anderen Kulturkreis, sie haben keine Ahnung, wie das Leben hier wirklich ist.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie Flüchtlingsunterkünfte besuchen?

Auf der einen Seite versuche ich als Journalist, objektiv zu bleiben. Auf der anderen Seite bewegt es mich schon. Wobei ich versuche, mich auch hier zurückzuhalten. Viele Leute, die mich etwa in Syrien im Fernsehen gesehen haben, erkennen mich und kommen auf mich zu.

Was machen Sie, wenn Sie jemand um Hilfe bittet?

Dann frage ich, worum es geht, und lade mitunter in meine Sendung ein. Ich gehe aber mit niemandem zum Arbeitsamt. Das ist nicht meine Aufgabe. Ich kann keine Lösungen anbieten, das müssen Politiker tun. Ich habe zwar einen Zugang zu den Leuten, den andere vielleicht nicht haben. Aber mehr als berichten, das mache ich nicht.

Diese Abgrenzung fällt Ihnen leicht?

Nein, es fällt mir nicht leicht, aber ich mache sie. Die Erfahrung hilft.

Steckbrief

Jaafar Abdul Karim wurde 1981 in Liberia geboren, wuchs aber im Libanon und in der Schweiz auf. Für das Studium der Medieninformatik verschlug es ihn nach Deutschland. Abdul Karim arbeitet für die Deutsche Welle, schreibt Kolumnen für Zeit Online und veröffentlicht Videoblogs bei Spiegel Online.

„Shababtalk“ ist eine arabischsprachige Jugendtalkshow der Deutschen Welle, in der brisante gesellschaftspolitische Themen diskutiert werden. Jaafar Abdul Karim moderiert die Sendung seit vier Jahren, im arabischen Raum wird sie von einem Millionenpublikum gesehen. Die Aufzeichnungen finden meist in Berlin statt. Die Deutsche Welle ist der staatliche Auslandsfunk der Bundesrepublik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2015)

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