Viktoria Modesta: "Technik ist etwas Menschliches"

VERLEIHUNG 'HAUTE COUTURE AUSTRIA AWARD 2015'
VERLEIHUNG 'HAUTE COUTURE AUSTRIA AWARD 2015'APA/STARPIX/ALEXANDER TUMA
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Viktoria Modesta versteht sich als erste bionische Multimediakünstlerin der Welt. Ein Gespräch über Prothesen und ihr „verrücktes Bedürfnis zu leben“.

Ist sie Model oder Sängerin, Regisseurin oder DJane – oder der weltweit erste Bionic Multimedia Artist? Die Frage, sagt Viktoria Modesta, sei tatsächlich nicht so leicht zu beantworten, viele Jahre habe sie selbst damit gekämpft. „Ich hatte Manager, die wollten, dass ich mich auf eine Sache konzentriere. Aber ich hatte immer das Gefühl, das ist nicht, wer ich bin.“

Tatsache ist, dass das Model, das am Donnerstag im Park Hyatt das Siegermodell (von Kateryna Kiss) beim Haute Couture Award präsentiert hat, spannender war als viele Entwürfe. „Blue Bionic“ war das Motto gewesen, Christian Ludwig Attersee hatte dazu einen Stoff entworfen, der genutzt werden musste. Produkt der Bionik sind auch die Prothesen, mit denen Viktoria Modesta gern auftritt: besser, oder zumindest oft modischer, als die Natur.

Mit 20 hat Modesta ihr linkes Bein abnehmen lassen. Da hatte sie schon fünf Jahre Diskussionen mit den Ärzten hinter sich. 1988 war Modesta in Lettland mit Geburtsschäden zur Welt gekommen. 15 Operationen an ihrem Bein hatte sie hinter sich, „und wie bei einem Dominoeffekt war es dabei, meine restliche Gesundheit zu beeinflussen: meine Fähigkeit zu gehen, meinen Rücken, fast alles. Aber es gibt diese Vorstellung, dass man an seinem Körperteil festhalten muss, auch wenn er wirklich dysfunktional ist – statt ihn gegen etwas Künstliches auszutauschen, das einen normal machen würde. Das ist irrwitzig.“ In dieser Hinsicht, glaubt Modesta, „werden wir sicher einen Paradigmenwechsel erleben“.

Begonnen, erzählt Modesta, habe ihr Weg jedenfalls mit den Hollywoodfilmen und Musikvideos, die sie als Kind gesehen habe. „Ich habe ziemlich viel Zeit in Spitälern verbracht und immer diese Welt der Fantasie und der Möglichkeiten gesehen.“ Als sie zwölfjährig mit ihrer Mutter nach London kam, stürzte sie sich umgehend in die verschiedensten Subkulturen. „Ich hatte ein absolut verrücktes Bedürfnis danach, das Leben zu erleben.“ Sie wurde Model, „aber da wurde mir langweilig, weil ich nicht mitbestimmen konnte“. Also begann sie, andere zu stylen, Regie zu führen. Heute, sagt sie, könne sie alles: singen, tanzen, ihre eigenen Performances produzieren, sie werde von einer „kulturellen Beobachterin zur kulturellen Architektin“.

Behindert habe sie sich nie gefühlt. „In Osteuropa hat man meiner Mutter damals angeboten, mich nach meiner Geburt in ein Kinderheim zu geben. Die Haltung der Gesellschaft war: Du bist falsch, du bist nicht gut genug, du musst versteckt werden, du wirst ganz sicher nicht das erreichen, was andere erreichen. Ich habe schon als Kind über all das philosophiert: Warum ist das so? Wer hat das Recht, das zu sagen? Und wie kann es sein, dass ich mich so cool und offen und interessiert fühle, während mir diese Leute erklären, dass ich mit mir selbst Mitleid haben muss? Das war bizarr.“

Die Idee, auch ihr fehlendes Bein in Szene zu setzen, sei instinktiv entstanden. „Plötzlich hatte ich da eine weiße Leinwand. Ich wollte mich ausdrücken, und mit meinem Körper zu beginnen war etwas sehr Natürliches. Viele Menschen haben das Gefühl, dass der Technik etwas Menschliches fehlt. Ich sehe das anders: Es ist etwas, das wir geschaffen haben. Es ist sogar menschlicher als mein Körper, weil jemand seine Ideen aus seinem Geist in die Realität gebracht hat. Ich bewundere das sehr.“

ZUR PERSON

Viktoria Modesta wurde 1988 in Lettland geboren und lebt in London. „Forget what you know about disability“ heißt der Untertitel des Videos „Prototype“, das mehr als 20 Millionen Menschen gesehen haben. Sie hat u. a. mit Ellen von Unwerth und Vivienne Westwood gearbeitet und unterstützt das Alternative Limb Project, das an höchst realistischen Prothesen arbeitet, aber auch kreative Vorstellungen erfüllt. Ihr Porträt von James Stroud hängt in der National Portrait Gallery.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2015)

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