„Früher war man nur verkalkt“

Alexandra LIEDTKE
Alexandra LIEDTKE (c) imago/SKATA (imago stock&people)
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Alexandra Liedtke inszeniert eine „tragische Farce“ über Alzheimer – und spricht über Demenz, ihre Großmutter und ihre Arbeit unter Beobachtung.

Tief sitzt man auf der Bank im Café Eiles, das Alexandra Liedtke vorgeschlagen hat, ungewohnt hoch liegen die Hände auf dem Tisch. Man fühle sich plötzlich wieder wie ein Kind, stellt Liedtke fest. Was ziemlich gut passe zu dem Stück, das sie gerade inszeniert hat. Erwin Steinhauer spielt darin einen Menschen, der an Alzheimer erkrankt, und „vieles in seinem Verhalten versetzt ihn zurück in ein Kindheitsstadium. Es gibt auf einmal Situationen, die er nicht mehr einschätzen kann wie ein erwachsener Mensch, sondern denen er vollkommen unmittelbar begegnet, wie ein Kind.“

Das mehrfach ausgezeichnete Stück des Parisers Florian Zeller, das gestern Abend in der „Intimität“ der Kammerspiele Premiere hatte, sei „sicherlich nicht das, was ein typisches Kammerspiele-Publikum erwartet an leichter Abendunterhaltung“, sagt Liedtke. „Das Schöne an diesem Stück ist, dass wir es aus der Perspektive des Patienten wahrnehmen, dass die Realität infrage gestellt wird. Und dabei entstehen durchaus komische Momente.“ Zumal Steinhauer in der Rolle des Vaters und Patienten den größten Teil des Abends die Hilfe seiner Tochter ablehnt. „Er dreht die Sache so, als habe sie ein Problem.“

Gespräche mit Patienten

Liedtke trägt in diesen Stunden vor der Premiere Strickjacke und Doc Martens, sie spricht mit mädchenhafter Stimme – gleichzeitig schnell, klar und bestimmt. Sie hat sich gut vorbereitet auf das Stück. Hat mit dem AKH-Experten Peter Dal-Bianco gesprochen, Patienten getroffen. Man müsse sich mit dem Thema beschäftigen, sagt sie, „weil wir als Gesellschaft immer älter werden. Es gibt Prognosen, dass bis 2050 die doppelte Anzahl an Menschen an Alzheimer erkrankt sein wird.“ Faszinierend sei, „dass man nicht einer Krankheit gegenübersteht, sondern dass jeder Patient durch das, was er war, eine andere Form der Krankheit hatte.“

Sie selbst, erzählt Liedtke, habe eine Großmutter, die „sehr dabei ist, sich zu verändern, sowohl im sozialen Verhalten als auch in ihrer Gedächtniskapazität. Es gibt noch keine Diagnose, aber ich merke, dass Dinge anfangen, sie zu verletzen, die gar nicht verletzend gemeint sind.“

Verändert habe sich aber auch etwas anderes in den letzten Jahrzehnten, nämlich der Umgang mit Demenz. „Früher hieß es, der Alte ist schon ein bisschen verkalkt. Heute haben wir das Bedürfnis, Dinge sehr schnell zu kategorisieren, für alle Umstände einen Namen und damit eine Umgangsform festzulegen, weil es uns das Leben erleichtert.“ Ob – und für wen – das gut ist, sei eine andere Frage. „Hat meine Großmutter mit ihren 87, 88 Jahren nicht einfach das Recht, ihre Brille zu verlegen? Müssen wir sagen: Sie ist krank? Und muss ein Mensch, der sich sein Leben einteilen kann, wirklich wissen, ob wir Montag oder Dienstag haben?“ Ihre Antwort sei im Zuge der Arbeit jedenfalls weniger rigide geworden. „Das Erschreckende, aber auch Beruhigende, war zu sehen: Eine Diagnose bedeutet weder einen zwangsläufigen Verlauf noch eine wie auch immer geartete Gleichschaltung, weil jeder anders reagiert.“

Entscheidung mit fünf

Liedtkes Liebe zur Theaterarbeit begann früh. „Ich kann mich erinnern, dass ich auf einer Feier mit fünf Jahren auf einer Bühne stand und in dem Moment gewusst habe, dass ich genau das machen möchte. Ich bin aus dem Theater nicht mehr hinausgegangen, habe jede Statistenrolle gespielt, die ich kriegen konnte.“ Bis zu dem Punkt, an dem sie erkannte, dass sie gern eigene Ideen und Bilder umsetzen würde. Über Hospitanz, Assistenz und ein Theaterstudium lief ihr Weg in die Regie. Als 23-Jährige inszenierte sie mit Peter Turrinis „Rozznjogd“ ihr erstes Stück. „Ich konnte damit ein Problem auf die Bühne bringen, das sich mit meiner Erfahrung deckt. Ich kann als Regisseur in gewisser Weise nur das erzählen, was ich selbst erlebt habe. Das heißt nicht, dass ich morden muss wie eine Lady Macbeth, aber ich muss eine gewisse Lebenserfahrung haben.“

Apropos Lebenserfahrung. Als Assistentin hatte sie in Bochum früh ihren Mann Matthias Hartmann kennengelernt. Keine leichte Situation für sie, auch wenn sie das Leben in Wien geliebt habe, das Zu-Fuß-Heimgehen mit Zwischenstopp am Würstelstand. „Ich habe das lange nicht wahrgenommen, aber die Leute haben in Österreich immer besonders hingeschaut. Ich war die Frau des Burgtheater-Direktors, dann die Frau des Ex-Burgtheater-Direktors, neulich hieß es, ich wäre die Exfrau des Ex-Burgtheater-Direktors.“ Hartmanns Abgang hat alles nicht leichter gemacht. „Es gibt Tage, an denen ich das sehr anstrengend oder traurig finde oder nicht genau weiß, wie mir begegnet wird, und Tage, an denen ich einfach meine Arbeit mache, die mache ich mit vollstem Herzen und Überzeugung.“

AUF EINEN BLICK

Alexandra Liedtke wurde 1979 in Dortmund geboren. Sie studierte in Erlangen und Bochum, wo sie auch das Theater unter Tage leitete. Sie inszenierte u. a. in Zürich, Salzburg und Graz. Mit Erwin Steinhauer hat sie 2011 das Missbrauchsdrama „Blackbird“ an der Josefstadt auf die Bühne gebracht. In „Vater“ von Florian Zeller spielt Steinhauer nun mit Gerti Drassl. Premiere war gestern Abend in den Kammerspielen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2016)

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