Warum Praterausrufer und Politiker eigentlich dasselbe ist

 „. . . und dann wird's meistens ganz anders.“ Wolfram Berger und Peter Havlicek (v. l.), längst ein eingespieltes Team.
„. . . und dann wird's meistens ganz anders.“ Wolfram Berger und Peter Havlicek (v. l.), längst ein eingespieltes Team.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die heurige Auflage des Wienerliedfestivals Wean Hean geht in die Zielgerade. Wolfram Berger und musizierende Freunde sezieren den 250 Jahre alten Prater.

Im Wurschtlprater wie in der Politik dominiert heute die abschnurrende Grammofonplatte. Denn Praterausrufer und Parteiausrufer, ist das ein Unterschied? Weiß einer besser als der andere, was er redet? Beider Pflicht ist es ja nur, die Leute in die Bude zu bringen.“ Wolfram Berger schmeckt jedem der rund 100 Jahre alten Sätze mit sichtlichem und hörbarem Genuss nach, als säße er schon auf der Bühne und nicht im Café, ein wenig süffisant, aber nicht übertrieben, Anton Kuh braucht keinen Geschmacksverstärker, kein rhetorisches Glutamat.

250 Jahre Prater feiert man heuer in Wien, und an diesem Jubiläum wäre das Wienerliedfestival Wean Hean mit keinem guten Argument vorbeigekommen. Prater und Wiener Musik, das gehört zusammen, man könnte sogar kurzerhand die ganze dortige Geräuschkulisse zur Musik erklären. Und so hat Herbert Zotti, Spiritus Rector (offiziell: geschäftsführender Vorsitzender) des Wiener Volksliedwerks, ein bisschen telefoniert, mit dem Schauspieler Wolfram Berger zum Beispiel. Als Komplizen wurden die Sängerin Traude Holzer, Kontragitarrist Peter Havlicek und (Schrammel-)Harmonikaspieler Helmut Stippich von den Neuen Wiener Concertschrammlen (NWCS) „eingeteilt“, und was da unter Supervision Zottis entstanden ist, ist am Donnerstag im Wien-Museum zu erleben. „Wir sind bemüht, das Ganze nicht zu einem Volkshochschulvortrag werden zu lassen“, versichert Havlicek. In Kenntnis der Beteiligten war dieses Risiko freilich äußerst beherrschbar.

Die Sache mit den Aschanti

Und so gibt es Geschichtliches von Herbert Zotti, Texte unter anderem von H. C. Artmann, Ernst Kein und natürlich Felix Salten, gespickt mit den passenden Wienerliedern, notwendigerweise auch zweifelhafter Art. Ja, es seien schon auch Stücke dabei, die er sonst vielleicht nicht unbedingt spielen würde, räumt Havlicek ein. Da ist zum Beispiel dieses Lied über die Aschanti. Es geht darin nicht um Nüsse. Schwarze, für sie steht das Wort pars pro toto, wurden noch bis ins 20. Jahrhundert im Prater wie in einem „Menschenzoo“ ausgestellt. Entsprechend darf man sich den Text vorstellen, gleichwohl ein Zeitdokument zum Verständnis dieser düsteren Seite des Praters.

Ob das Programm tatsächlich so abschnurrt, wie geplant, darauf sollte man – wiederum in Kenntnis der Künstler – besser nicht wetten. „Wir kriegen vom Wolfi genaue Anweisungen, was wir spielen müssen . . .“, sagte Havlicek, „. . . und dann mach' ma des vielleicht“, führt Berger zu Ende. Betonung auf vielleicht, denn das Improvisieren gehört zu ihren Programmen wie der Wurschtl zum Prater. Das Spontane („Ich könnt nicht mehr unter der Anleitung irgendwelcher Herrschaften spielen, die mir sagen, wie hoch ich den Ellbogen halten soll“) ist es auch, was Berger an der Zusammenarbeit mit „seinen“ Wiener Musikern so besonders schätzt, als eine Freiheit, die auch die Angst vor der Bühne nimmt: „Das macht so eine Freude. Und wenn ich einen Fehler mach . . .“, und wieder ergänzt Havlicek: „. . . dann machen wir den auch gleich.“ Das ist halt noch Solidarität.
Hat der Prater Saltens und Kuhs aber noch viel mit dem heutigen zu tun? „Es ist heute anders, so wie die Straßen anders aussehen, aber die Substanz ist geblieben“, meint der Gitarrist. „In den alten Texten wird klar, dass das schon damals eine Multikultigesellschaft im Prater war. Genau wie heute.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2016)

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