Friedrich Liechtenstein: "Die Zeit der Eiche ist vorbei"

INTERVIEW MIT ENTERTAINER FRIEDRICH LIECHTENSTEIN
INTERVIEW MIT ENTERTAINER FRIEDRICH LIECHTENSTEINAPA/GEORG HOCHMUTH
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Friedrich Liechtenstein, kauziger Entertainer mit DDR-Vergangenheit, ist Großmeister eines Hedonismus, dem Konsumverzicht lieb ist. Am 19. Mai gastiert er in Wien.

Sie präsentieren auf Ihrem neuen Album „Schönes Boot aus Klang“ auch ältere Songs wie „Dolphinman“ in neuen Arrangements. Delfine sind rar in Popsongs. Einzig Fred Neil hat ihnen einmal einen Song gewidmet. Wie kamen Sie auf dieses Thema?

Friedrich Liechtenstein: Es war 2002. Ich hab' in der Linienstraße gewohnt. Meine Nachbarn waren 2Raumwohnung. Sie hatten damals ein hübsches Liebeslied namens „2 von Millionen Sternen“. Es hat den „Dolphinman“ inspiriert. Mit dem Lied hab' ich um eine verflossene Liebe gebalzt. Delfine haben ja so etwas Phallisches, sind liebreizend und begabt.

Sie ahmen ja auch höchst talentiert Delfinlaute nach. Woher rührt dieses Talent?

Das hab' ich schon als Kind praktiziert. Wir haben damals auch in der DDR „Flipper“ gesehen. Allerdings im Kino, nicht im Fernsehen. Seither übe ich deren Sprache.


Eine gewisse Sehnsucht nach dem Meer ist auch in Ihrem ersten Berufswunsch – Sie wollten Algenforscher werden – reflektiert.

Algen sind ein großes Thema. Es ist in mir in Zeiten großer Ohnmacht hochgekommen und ganz zweifellos eine Allmachtsfantasie. Naturanalogien waren in der Menschheitsgeschichte immer schon beliebt. Einfach, weil die Natur schön ist und immer recht hat. Die Zeit der Eiche ist vorbei. Nun ist die Ära der Alge angebrochen, eine Ära, die durch clevere Mimikry und rasches Vergessen gekennzeichnet ist. Alles Eigenschaften, die derzeit hoch im Kurs stehen.


Fuhren Sie, als Sie noch in Stalinstadt lebten, oft ans Meer?

So oft es ging. Die Berge haben mich in meiner Jugend nie fasziniert. Auf ihre Schönheit bin ich erst in den letzten Jahren gekommen, wie mein Album „Bad Gastein“ beweist.

Wie viele DDR-Bürger pflegte Ihre Mutter die Freikörperkultur. Nicht jedes Kind ist wahnsinnig daran interessiert, seine Eltern nackt zu sehen. Wie ging es Ihnen damit?

Ich hab' nicht weiter darüber nachgedacht. Mein Vater hat die ganze Wohnung mit Bildern seiner nackten Frau vollgehängt. Mir kam das ganz natürlich vor. Nacktheit hatte in der DDR nichts mit Geilheit zu tun.


Gab es in der DDR eine andere Sexualität?

Auf jeden Fall. Pünktlich mit dem Mauerfall hat sich das geändert. Auf einmal war Sex ein Deal zwischen Mann und Frau. In der DDR spielte das Materielle im Zwischenmenschlichen keine Rolle. Die Frauen waren angstfrei und selbstbewusst, waren meist der aktivere Part.

Wie hat sich Ihr Leben nach dem Mauerfall verändert?

Zunächst war man sehr auf mich als Theatermann neugierig. Zu DDR-Zeiten durfte ich ja nicht reisen. Das hole ich jetzt mit meiner One-Man-Show nach. Da hab' ich eine Zeitlang ganz gut verdient. Überhaupt sollte die Anpassungsleistung der ehemaligen DDR-Bürger mehr gewürdigt werden. Über Nacht musste man alles neu erlernen. Die Gerüche, Farben, Moralvorstellungen, die Produkte im Lebensmittelhandel – alles war plötzlich anders.


Apropos Lebensmittel – Sie waren eine Zeitlang auch Militärkoch.

Die Militärzeit war eine Zeit der großen Verwahrlosung. Weil ich kein großer Freund von Schießereien bin, schaute ich, dass ich in die Küche kam. Sie war ein besserer Ort als der Panzerwagen.

Berühmt wurden Sie als Puppenspieler von Stalinstadt. Wie kamen Sie zu diesem eher exotischen Beruf?

Mir gefiel das Kryptische, das Artifizielle am Puppenspiel. Man konnte verborgene politische Aussagen machen. Wir hatten alle ein gutes Selbstwertgefühl. In der DDR war es das Erste, was ich unbekannten Leuten sagte. Im Westen schwieg ich lieber darüber. Hab' mich erst jetzt wieder damit versöhnt. Was kaum jemand mehr weiß: Puppenspiel war ein Hochschulstudium in der DDR.


Nach einem halben Leben im Kommunismus haben Sie die Wonnen des Konsumverzichts im Westen schätzen gelernt. Wie kam das?

Das hat sich peu à peu ergeben. In Kneipengesprächen gefiel mir immer aufzuzählen, was ich alles nicht habe. Am Ende dieser Entwicklung hatte ich gar nichts mehr, nicht einmal eine Wohnung. Ich lebte als Schmuckeremit im L 40, einem kubischen Monolithen nahe dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Ein architektonisches Vorzeigeprojekt, in dem interessante Leute leben, die mich als Mitbewohner geduldet haben. Ich will nichts besitzen als meine zwei großen Koffer mit Anzügen.

Haben Sie die Figur Friedrich Liechtenstein als Mischung von Bohemien und Dandy angelegt?

Gewissermaßen. Vor allem aber wollte ich Popstar sein, größer und glänzender als früher im Leben. Sonnenbrille, goldene Fingernägel, seltsame Anzüge – das sind meine Accessoires. Früher als Theaterregisseur lebte ich grau-schwarze Unauffälligkeit. Als Friedrich Liechtenstein stolziere ich schon einmal im weißen Anzug herum.

Hatten Sie nie Existenzängste?

Seltsamerweise nicht. Ich hege eine Art Urvertrauen, dass sich alles fügt. In meinem Beruf kann man ganz schnell wieder zu Geld kommen. Bislang ging sich alles, wenn auch oft knapp, aus. Ich hab' einfach kein Talent zur Verzweiflung.

Welche Musik hat Sie geprägt?

Meine erste Platte war gar keine. Es war eine Schallfolie aus Bulgarien auf der Gershon Kingsleys „Popcorn“ und Isaac Hayes' „Shaft“ drauf war. In diesem Spannungsfeld zwischen billiger elektronischer Musik und Soul bildete sich mein Musikgeschmack. Auch Marvin Gaye liebte ich sehr früh. Das ließ ich mir etwas kosten. Meine Monatsmiete betrug damals circa 26 Mark, Westplatten kosteten so um die 150 Mark.


Welche Rolle spielt Müßiggang für Sie?

Schon eine große. Flanieren ist mir unendlich wichtig. Und bin ich einmal am Meer, dann bin ich kein Typ, der surft. Lieber sitze ich in einem Café und schaue stundenlang auf das Wasser. Ich hab' ein gewisses Talent zur Kontemplation. Sport ist jedenfalls nichts für mich. Mir scheint schon Kegeln sehr gefährlich zu sein. All diese komischen Bewegungen, die kosten wahrscheinlich mehr Menschenleben, als man denken würde.

Trotz Sportfeindlichkeit halten Sie enge Fühlung mit der Jugend. Warum?

Ich habe mit 18 Jahren geheiratet und muss deshalb jetzt meine Jugend etwas nachholen. Mit lauter Gleichaltrigen im selben Raum zu sitzen kommt mir seltsam vor. Dafür bin ich zu übermütig. Ich interessiere mich für die jungen Menschen und sie sich für den Entertainer Friedrich Liechtenstein.


Ist es wahr, dass die jungen Damen Ihren Bauch lieben?

Zu meinem Erstaunen, ja. Es ist es tatsächlich so. Früher haben manche Leute zu mir gesagt, ich solle meinen Bart abnehmen, wenn ich Popstar werden will. Ich tat es nicht. Das Dicksein wollte man mir auch ausreden. Die Wende war wohl, als ich in diesem Werbespot im Milchmüsli badete. Das kam an.

Wie kamen Sie überhaupt auf Bad Gastein, dem Sie Ihr letztes Album widmeten?

Olaf Krohne und Ike Ikrath, Hoteliers einer neuen Generation, haben mich vor ein paar Jahren nach Bad Gastein geholt. Da sind mir einmal die Augen herausgefallen, und ich hab' mich schockverliebt. Die Stimmung erinnert mich an Ostberlin nach dem Mauerfall. Es ist ein guter Ort für Flaneure.


Auf dieser Liedersammlung haben Sie auch „Close to You“ von Burt Bacharach gecovert. Was schätzen Sie an seiner Kunst?

In Zeiten, in denen ich nichts hatte, besaß ich doch einen kleinen Plattenspieler, auf dem ich diese eine Platte von Dionne Warwick auf und ab spielte. Darauf sang sie lauter Lieder von Bacharach. Sie sind so verführerisch und so unglaublich schön, unmöglich für mich, ihnen zu widerstehen.

Wovon ernähren Sie sich literarisch?

Ich lese derzeit recht wenig, zehre noch aus den Zeiten, als ich Theater gemacht habe. Das letzte Buch, über das ich meine Augen streicheln ließ, war „Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr“, der Debütroman meines Sohnes Franz Friedrich. Und den russischen Dichter Warlam Schalamow liebe ich sehr. Er war ein Meister der ökonomischen, kleinen Texte.


Am 16. Mai läuft Ihre Serie „Tankstellen des Glücks“ auf Arte an. Worum geht es da?

In diesem Roadmovie geht es um die klandestine Magie von Tankstellen, wie sie vielleicht nur von Führerscheinlosen erkannt werden kann. Für mich sind es jedenfalls die romantischsten Orte, die vorstellbar sind. In Wien waren wir dafür übrigens auch.

Herr Liechtenstein, darf man Sie auch fragen...

1. . . wie Sie der Anwerbung zum Informanten durch die Stasi entgangen sind?

Ich hab' einen auf Schwejk gemacht, hab' ihnen gesagt, ich wäre so eine Plaudertasche, ich könne das nicht. Daraufhin kamen sie zum Schluss, dass ich nicht ganz dicht wäre und ließen mich in Ruhe.

2. . . wie Sie den zügellosen Kapitalismus erleben?

Ich bin noch nicht so richtig erschöpft von ihm. Mich fasziniert immer noch, was man alles machen kann. Fortschritt und Finesse im Design finde ich fein. Das gab es in der DDR so nicht.

3. . . was Ihr Lieblingsfilm von Wes Anderson ist?

Den „Tiefseetaucher“ mag ich am meisten. Bill Murray ist da ganz groß. Auch „Grand Budapest Hotel“ finde ich sehr, sehr toll. Er kam zur selben Zeit heraus wie mein „Bad Gastein“-Album. Die motivischen Parallelen zwischen diesen beiden Werken liebe ich sehr.

Steckbrief

1956
wurde Friedrich Liechtenstein als Hans-Holger Friedrich in Stalinstadt, DDR geboren. Studierte von 1980 bis 1984 an der Ernst-Busch-Schauspielschule, Berlin. Arbeitete dann als Puppenspieler, Regisseur und Schauspieler.

2003
erfindet er sich als Entertainer Friedrich Liechtenstein neu. Zudem arbeitet er an Kunstprojekten, gestaltet Pop-Varietès, spricht Hörbücher ein.

2004
erscheint sein Debütalbum „Please Have a Look from Above“ auf dem Wiener Label Fabrique.

2015
erscheint die kammermusikalische Liedersammlung „Schönes Boot aus Klang“ auf Vinyl und als Download. Ab 16. Mai läuft auf Arte Liechtensteins zehnteiliges „Tankstellen des Glücks“. Am 19. Mai gastiert er mit seinen Liedern im Theater Akzent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2016)

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