Spielberg: "Die Fantasie terrorisiert mich"

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Steven Spielbergs Albträume machten ihn retrospektiv zu einem der erfolgreichsten Filmemacher. Der bald 70-Jährige hat ein eigenes Genre geschaffen, dessen Name aus Österreich stammt.

Steven Spielberg ist nun beinahe 70, er prägte das Kino der vergangenen Jahrzehnte. Er ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, der Träume und Vergangenes, Horror und Fantasie gleich gut umsetzen kann und weltweit berührt – wie jetzt mit seinem neuen Familienfilm „BFG – Big Friendly Giant“. „Die Presse am Sonntag“ traf Spielberg in Cannes.

Mr Spielberg, Filme sind wie Träume auf der Leinwand. Roald Dahls Kinderbuchklassi-ker „Sophiechen und der Riese“ beschreibt einen Kindertraum. Wissen Sie noch, wovon Sie als Junge geträumt haben?

Steven Spielberg: Oh ja, denn als kleiner Junge hatte ich extrem oft Albträume, aus denen ich meist schreiend aufgewacht bin. Meine Eltern waren schon völlig verzweifelt und wussten nicht mehr weiter. Als ich etwa vier war, holten sie sogar einen Arzt zu uns, um herauszufinden, was mich plagte. Vielleicht hatten sie schon befürchtet, ich sei schizophren.

Was hat der Arzt denn beim kleinen Spielberg festgestellt?

Ich erinnere mich nicht mehr an das Gespräch. Aber ich weiß noch bis heute, wie grässlich die Träume waren! Letztendlich hatte ich nur eine hyperaktive und brutale Vorstellungskraft. Die Fantasie terrorisierte mich geradezu.

In „BFG“ sind Kinder einer ständigen Bedrohung ausgesetzt. Haben Sie, der siebenfache Vater, auch Angst um Ihre Kinder?

Ja, natürlich. Man meint immer, dass Kinder bedroht sind, und lebt in ständiger Angst. Eigentlich hat mich erst „E.T.“ dazu gebracht, Vater werden zu wollen. Besonders Drew Barrymore war mir beim Dreh ans Herz gewachsen. Nach Drehende hatte ich eine Woche den Blues, weil ich die Kinder so vermisste. Das größte Geschenk, das ich mit „E.T.“ bekam, waren nicht der kommerzielle Erfolg und die Möglichkeit, unabhängige Filme zu drehen, sondern dass in mir mit knapp 40 der Wunsch geweckt wurde, selbst Vater zu sein.

Sehen Sie sich als Nachfolger des begnadeten Kinderverzauberers Walt Disney?

Nein! Mit ihm kann sich keiner vergleichen! Er war meine Muse und Inspiration, als Kind habe ich viele Filme von ihm gesehen. Meinen Eltern trauten dem Fernsehen nicht, das steckte ja damals noch in den Kinderschuhen. Ihnen war gar nicht klar, dass in einem Disney-Film viel mehr Drama, Angst und Trauma stecken als in einer TV-Episode! Aus dem Kino kam man immer traumatisiert, aber auch vollkommen verzaubert zurück. Kino war für mich damals schon wie eine Erleuchtung. Ich möchte kein Walt Disney sein, weil keiner Walt Disney sein kann.

Was bereitet Ihnen an der aktuellen Weltlage die größte Sorge?

Zynismus. Denn Zyniker stellen im Allgemeinen infrage, dass jemand aus reinen, nicht egoistischen Motiven handelt. Weil Zyniker das einfach nicht kennen. Ich weiß, dass es größere Probleme gibt, wie Terror, Flüchtlingsströme und Welthunger. Doch all diese Nöte werden durch Zynismus noch zusätzlich befeuert.

Es fällt auf, dass Sie zwei Gegensätze bedienen: Entweder entstammen Ihre Filme der Fantasiewelt, wie „E.T.“ und „BFG“, oder aber der harten faktischen Geschichte wie „Schindlers Liste“. Kommt nach diesem Märchen also wieder etwas Historisches wie „Bridge of Spies“?

Ich habe gar keinen Plan! Ich plane auch keinen Gegenangriff der Genres! Ich würde nie sagen: „Jetzt habe ich einen Film für die Familie gemacht, nun folgt einer für die Gesellschaft.“ Nein, wenn ich etwas für die Gesellschaft tun möchte, mache ich das ganz privat, nur mit meiner Frau. In meiner Kunst denke ich nicht an Ausgewogenheit. Da wird das in Angriff genommen, was zuerst meinen Weg kreuzt.

Sind Ihnen all Ihre Filme – über Jahrzehnte Regisseur und Produzent – gleich lieb, eben wie eigene Kinder?

Ich bin Anhänger dieser Theorie. Dennoch kann ich klar sagen, dass der Film, der das meiste und Beste bewirkt hat, „Schindlers Liste“ ist. Dieser Film hat bewirkt, dass extrem viele Menschen ihre Meinung zu diesem Thema geändert haben, nachdem sie sich den Film angeschaut haben. Er wurde in Schulen, sogar an Polizeiakademien vorgeführt. Die Aufklärung über den Holocaust hat durch diesen Film frische und wichtige Impulse erfahren.

Haben Ihre Kinder alle „Schindlers Liste“ gesehen?

Nicht alle. Die Jüngste sagt, dass sie bestimmt, wann sie bereit dazu ist. Kinder sind so unterschiedlich. Man muss jedes für sich nehmen, ihnen Zeit und Freiraum geben und akzeptieren, dass sie sich nicht miteinander messen lassen. Das ist, wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

In „E.T.“ hat uns eine siebenjährige Drew Barrymore bezaubert, in „BFG“ debütiert die zwölfjährige Ruby Barnhill als Sophie. Die meisten Regisseure meiden Kinderdarsteller. Worin liegt Ihr Geheimnis, mit Kindern so wunderbar auszukommen?

Ganz einfach: Weil ich sie nicht wie Kinder behandle. Sondern wie Partner. Bei „E.T.“ gab mir meine langjährige Drehbuchautorin Melissa Mathison den Tipp: „Du redest viel mit Drew, aber bist so viel größer als sie. Kannst du nicht in die Knie gehen, wenn ihr sprecht?“ Das mache ich seitdem: Ich gehe vor Kindern in die Knie.

Ihre „Kinderflüsterin“ und langjährige Drehbuchautorin Melissa Mathison verstarb im November. Würden Sie sie als eine Ihrer engsten Vertrauten bezeichnen?

Melissa und ich haben sehr lang zusammengearbeitet: Von „Jäger des verlorenen Schatzes“, wo ich ihr 1981 in der Wüste Tunesiens zum ersten Mal begegnet bin, als sie noch mit Harrison Ford verheiratet war, bis hin zu „BFG“. Sie hatte damals „Der Schwarze Hengst“ geschrieben und ich bedrängte sie: Das wäre genau der richtige Ton für den Film, den ich über meine Kindheit drehen möchte und der „E.T.“ heißen soll . . . Sie lehnte ab, sie habe sich vom Drehbuchschreiben zurückgezogen, weil sie meinte, nicht gut zu schreiben. Aber Harrison hat sie dann nach allen Regeln der Kunst bequatscht. Ab da waren wir Freunde.

Sie bedienen so viele Genres, dennoch wird jeder Ihrer Streifen als Spielberg-Film be-zeichnet – als sei Spielberg eine Marke. Woher kommt das?

Wenn Sie es so genau wissen wollen: von einer kleinen Stadt in Österreich (lacht)! Da kommt jedenfalls mein Name her. Vor zehn Jahren tauchte plötzlich ein gelbes Schild mit schwarzen Buchstaben bei uns im Office auf, das Ortschild von Spielberg. Der Bürgermeister der Stadt wollte, dass ich es bekomme. Ich hatte gar keine Ahnung, dass ich quasi eine Stadt besitze! Mein Dad hat unsere Familie nur bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückverfolgen können. Damals hat unsere Familie für einen Baron von Spielberg gearbeitet. Leibeigene haben ihren Familiennamen abgelegt und den ihres Herrn angenommen, dem sie gedient haben. Daher entspricht unser Name gar nicht unserer genetischen Geschichte. Wie unser Familienname davor lautete, weiß ich nicht. Aber wenn Spielberg zum Markenzeichen geworden ist, bin ich happy!

Vom Leibeigenen in Österreich zum wohl mächtigsten Mann Hollywoods . . . Man hat den Eindruck, Ihnen fliegt das Regiehandwerk zu. Fällt Ihnen auch etwas schwer?

Zu wissen, wann man aufhören muss. Wann ich das, was ich brauche, im Kasten habe. Früher habe ich eine Szene bis zu 30-mal gedreht, weil ich neugierig war, was für Varianten möglich sind. Mit zunehmendem Alter habe ich kapiert, dass ich meist für die Tonne arbeite. Denn im Schneideraum haben immer nur die ersten vier überlebt. Das meiste über das Regieführen habe ich beim Regieführen erst gelernt. Das Schwierigste ist immer noch, eine Szene, die mir besonders am Herzen liegt, abzudrehen und zur nächsten überzugehen.

Was halten Sie für die beste Entscheidung Ihres Lebens?

Dass ich vor 25 Jahren meine Frau, Kate Capshaw, geheiratet habe.

Steckbrief

Steven Allen Spielberg
wurde am 18. Dezember 1946 in Cincinnati, Ohio, geboren. Gemessen am Einspielergebnis seiner Filme ist er der bis heute erfolgreichste Regisseur und Produzent.

Sein Werk
Zu seinen bekanntesten Werken gehören u. a. „Der weiße Hai“ (1975), „E.T. – der Außerirdische“ (1982), „Jurassic Park“ (1993), „Schindlers Liste“ (1993), „Soldat James Ryan“ (1998), „Lincoln“ (2012) und die „Indiana Jones“-Reihe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2016)

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