Vom Glanz der Stadtbahnbögen

7. POPFEST WIEN: VOODOO J�RGENS
7. POPFEST WIEN: VOODOO J�RGENS(c) APA/HANS PUNZ
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Voodoo Jürgens und der Musikkreis MS20 führen die lange Liste an Musikern an, die am Samstag zum Gürtel-Nightwalk locken.

Auf dem Gürtel, scharf an der Grenze zur Vorstadt, da trieben sich immer schon wunderliche Leute um. Die strategische Belebung der ehemaligen Stadtbahnbögen mit Lokalen für Jugendliche jeden Alters hat daran nichts geändert. Die Halbwelthallodris, wie sie der gebürtige Tullner Voodoo Jürgens auf seinem demnächst erscheinenden Debütalbum, „Ansawoar“, im Lied „Café Fesch“ besingt, sie trifft man allerdings kaum noch. Doch Voodoo Jürgens, beim 19. Gürtel-Nightwalk ins Loft gebucht, wird den original Wiener Schlurf wieder aufleben lassen.

Die Basis seiner Kunst sind genaue Beobachtung und Gefühl für die Poesie von krassen Sprachbildern. Er hat seine Unterhaltungskunst in vielen Tschecherln und Tschocherln am Gürtel ausprobiert, ehe ihn Stefan Redelsteiner, der heimische Pop-Svengali, entdeckt hat. „Ich hab in fast jeder Hitt'n am Gürtel schon einmal gespielt. Eines der ersten Voodoo-Jürgens-Konzerte haben wir in einem mexikanischen All-You-Can-Eat-Buffet gespielt. Wir haben irgendwas geschrammelt, und einem Typen sind die langen Haare in den Bohneneintopf gehangen.“

Privat bevorzugt er das Rhiz, weil es „dort die beste Musik gibt. Aber ich hab mal jemanden in London getroffen, der mir erzählt hat, dass er in zwei Wochen einen Gig im Sittl hat. Das fand ich ganz schön beeindruckend.“ Im Japanischen gibt es mit „nare“ einen Ausdruck, der Abgegriffensein positiv benennt. Es meint den Glanz, der entsteht, wenn eine Stelle oft von Menschenhand berührt wurde und Ausdünstungen ins Material eingedrungen sind.

In diesem Sinn glänzen auch viele Gürtellokale. Irgendwie kurios, dass in Wien oft die Lokale mit dem abgeschundenen Interieur besser als die gestylten gehen. Warum das so ist? „Man fühlt sich wohl wohler in einer Umgebung, in der die Welt nicht untergeht, wenn ein Bier umfällt,“ meint Voodoo Jürgens ganz pragmatisch.

Dass es auch ärger hergehen kann, davon weiß Hans Holler, seines Zeichens Mitglied des Musikkreis MS20, einer losen Vereinigung von Liebhabern des gleichnamigen analogen Synthesizers. „Vor einigen Jahren hat uns ein Betrunkener von hinten attackiert, als wir mit dem Musikkreis MS20 im Rhiz beim Nightwalk aufgespielt haben. Er begann, die Kabel aus den Instrumenten zu reißen. Er behauptete, er wäre Chirurg und müsse am nächsten Tag operieren.“

„Währung ist die Aufmerksamkeit“

Derlei Ausraster sind die Ausnahme bei diesem viele Lokale umfassenden Eintagesfestival. Wolfgang Kopper spielt, neben Chrono Popp und Hans Holler, ebenfalls Synthesizer beim Musikkreis MS20. Zudem ist er aktives Mitglied des Vereins der Ottakringer Kulturfreunde, der den Gürtel-Nightwalk organisiert. Die Acts des Gürtel-Nightwalk engagieren sich in der Regel die involvierten Lokale selbst. Kopper aber hat die Lizenz, sich selbst zu buchen. Darf man das? „Wenn die Qualität stimmt, ja.“ Ums Geld gehe es da nicht, „das ist minimal“, sagt Hans Holler. „Im Roten Bogen nehmen wir den Jüngeren keinen Platz weg“, sekundiert Kopper. „Die eigentliche Währung, in der gezahlt wird, ist die große Aufmerksamkeit, die die Acts bekommen.“

Früher hat auch der Schattendorfer Großkommunikator Fritz Ostermayer im Musikkreis MS20 mitgewirkt. Damals spielte man strikt Arbeiterlieder. Dann folgte eine von Chrono Popp geprägte Phase der Beatles-Coverversionen. Zurzeit arbeitet das Trio an neuen Stücken für das erst dritte Album. Fix ist, das Neil Heftis klangliches Kleinod „Batman“ heuer in einem pfiffigen Arrangement für Synthesizer zur Aufführung kommen wird.

Während der Musikkreis MS20 in Anzügen aus Synthetikfasern auftreten wird, präferiert Voodoo Jürgens einen ganz anderen Stil. „Mit der heutigen Mode kann ich wenig anfangen. Billige Fetzen, schlechte Materialien. Ich kann nicht leiden, wenn jemand das Gleiche wie ich trägt. Meine Hemden und Anzüge kaufe ich auf dem Flohmarkt oder in Secondhandläden. Die haben Geschichte, das mag ich. Mit der richtigen Einstellung kann man alles tragen.“ Und wohl auch alles spielen.

AUF EINEN BLICK

19. Gürtel-Nightwalk. Auf vier Open-Air-Bühnen (bei Chelsea, Rhiz, B72 und Loop) bzw. in Summe in einem guten Dutzend Lokalen wird am Samstagabend aufgespielt. Auf dem Programm stehen u.a. Wiener Blond, The Crispies, The Clashinistas, Bulbul, Ash My Love, Gin Ga, Voodoo Jürgens, MS20 oder Gospel Dating Service. Eröffnet wird das Fest mit einer Lesung seiner Erfinder, den SPÖ-Gemeinderäten Kurt Stürzenbecher und Heinz Vettermann sowie der SP-Nationalratsabgeordneten Nurten Yılmaz (um 19 Uhr im Café Carina). www.guertelnightwalk.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2016)

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