Segeln in die Toleranz

Auf der Friedensflotte Mirno More segeln benachteiligte mit geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen.
Auf der Friedensflotte Mirno More segeln benachteiligte mit geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen.(c) Mirno More/Amelie Chapalain
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Ein österreichischer Verein organisiert jedes Jahr das europaweit größte Friedensprojekt für benachteiligte Kinder und Jugendliche.

Die neu renovierte Marina Frapa in Rogoznica in Kroatien ist wie jedes Jahr in der dritten Septemberwoche voll besetzt. Schiffe überall, von kleinen Segelbooten bis hin zu riesigen, mehrstöckigen Motorjachten. Auf den Stegen wuselt es vor Kindern und Jugendlichen. Sie tragen weiße Shirts, auf der Brust ein Friedenszeichen. Ein etwa Zwölfjähriger mit Käppi auf dem Kopf will besonders lässig sein und schlägt ein Rad. Das Käppi fliegt, die zwei hinter ihm gehenden Mädchen kichern. Beide Mädchen haben Trisomie 21, der Junge ist hyperaktiv. Die drei sind gemeinsam mit gut 900 anderen Kindern und Jugendlichen Teilnehmer an der Friedensflotte Mirno More.

Der Steg, der zu den Cafés und Geschäften der Marina führt, ist in diesen Tagen Treffpunkt. Alex, ein Jugendlicher mit Trisomie, der zum wiederholten Mal dank der Caritas mitfahren kann, fällt Klaus, einem Freiwilligen aus dem Organisationsteam, um den Hals. Er legt seinen Kopf auf seine Schulter, macht die Augen zu, lächelt und lässt Klaus mehrere Minuten nicht los, während andere Kinder an den beiden vorbeilaufen – sie wollen an den Strand, schwimmen gehen, die letzten warmen Sommertage genießen, während zu Hause schon der Herbst begonnen hat.

Friedliches Meer

Die Friedensflotte ist ein einzigartiges Projekt: Gegründet von einigen segelverrückten Österreichern nach dem Balkankrieg, ging man zu Beginn mit Kindern aus allen Staaten des ehemaligen Jugoslawiens segeln – man wollte dem Krieg eine konkrete Friedensinitiative entgegensetzen. Der Name war schnell klar: Mirno More ist ein Gruß der Seefahrer Dalmatiens und bedeutet „friedliches Meer“. Das Ziel: Den Kindern Teamfähigkeit, soziale Kompetenz und friedliche Konfliktlösung beibringen und ihnen zu zeigen, dass Vorurteile falsch und kontraproduktiv sind. Denn auf dem Schiff ist man eine Crew, und die muss zusammenhalten, sonst kommt sie nicht ans Ziel. Ohne Toleranz für Andersartiges gibt es auch kein Zusammenhalten. Aus dieser kleinen Aktion wurde im Lauf der vergangenen 22 Jahre eine große Organisation. Inzwischen gilt die Friedensflotte als Vorzeigeprojekt der Erlebnispädagogik, es fahren Kinder mit schwierigem sozialen Hintergrund mit, verhaltensauffällige Kinder sowie geistig bzw. körperlich Beeinträchtigte. Gruppen von etwa sechs bis acht Kindern segeln gemeinsam mit ihren Betreuern und erfahrenen Skippern durch Dalmatien. Ein Organisationsteam sorgt für ein Rahmenprogramm ebenso wie für Information und medizinische Versorgung vor Ort.

Auszeit vom Alltag

Für die Teilnehmer bedeutet Mirno More, eine Woche Auszeit vom Alltag nehmen zu können. Viele der Kinder treffen in ihrem Alltagsleben auf Ausgrenzung oder Mobbing – auf der Flotte wird niemand ausgeschlossen. Von Anfang an wird den Kindern erklärt, dass hier ein Miteinander herrscht. Bereits am ersten gemeinsamen Abend tanzen beeinträchtigte und nicht beeinträchtigte Kinder, die sich im Alltag keines Blickes würdigen würden, in der eigens veranstalteten Disco miteinander. Als es zu regnen beginnt, führen zwei Mädchen aus einer betreuten WG einen kleinen Buben mit Gehbehinderung an der Hand, damit er nicht ausrutscht.

Doch es geht nicht nur um Disco und Party – auf den Schiffen bekommen die Kinder je nach Belastungsgrad Aufgaben. Besonders bei Manövern wie dem Anlegen haben alle klar definierte Rollen. Als Lukas, ein introvertierter und kettenrauchender Fünfzehnjähriger, die Fender entlang des Schiffsrumpfes mit dem eigens gelernten Knoten anhängt, sieht man sein Gesicht vor Stolz leuchten. Etwas Besonderes ist alljährlich die Schiffrallye: Ausgerüstet mit den Koordinaten der ersten Station segeln die Kinder mit ihren Betreuern drei Stationen ab. Bei jeder Station gilt es, Aufgaben zu lösen, bei erfolgreicher Erledigung gibt es die Koordinaten der nächsten Station. Zwischen den Stationen lassen die Skipper auch immer wieder die Kinder ans Steuerrad.

Friedensgespräche

Auch an Land wird spielerisch gelernt. Franz, ein Mitglied der Friedensflotte Bayern, baut jedes Jahr einen aufwendigen Parcours für die Kinder, den sie mit einem Rollstuhl bewältigen müssen. Doch die Friedensflotte ist nicht ausschließlich Spiel und Spaß. Ein Herzstück des Rahmenprogramms sind die Friedensgespräche, die jedes Jahr in der Marina Kaštela bei Split stattfinden. In diesen Gesprächen setzen sich die Jugendlichen mit den Themen Vorurteile, Mobbing und Alltagsrassismus auseinander. Gemeinsam werden nicht nur Probleme gewälzt, sondern auch Lösungen erarbeitet – von den Kindern selbst.

Ein Mitglied des Organisationsteams ist Mirna Jukic, Olympia-Medaillengewinnerin im Schwimmen. Sie bietet den Kindern einen Schwimmkurs. Ein Bub ist etwas jünger und kleiner als die anderen Teilnehmer, er bekommt Hilfe beim Schwimmen: Wenn es ihm zu viel wird, stützt ein Mitglied des Organisationsteams seinen Bauch. Unvermittelt meint er: „Früher, da hab ich schon mal schwimmen können. Aber dann war ich sehr krank und habs verlernt.“ In solchen Momenten wird einem klar, dass fast alle Kinder Erlebnisse hatten, die man einem Kind niemals wünschen würde. Wie positiv hingegen die Erlebnisse auf der Flotte für sie sind, zeigen die Rückmeldungen der Kinder. Viele schreiben danach per Facebook (facebook.com/friedensflotte) an das Organisationsteam, dass sie sich immer wieder gern an die Woche am Meer erinnern. Das können alle, die mitfahren, unterschreiben: Auch beim Organisationsteam selbst kennt man ihn, den Flottenblues. Den hat man garantiert in den ersten Tagen zu Hause, weil man einfach nur wieder zurück will.

Spenden

Die Friedensflotte Mirno More ist ein gemeinnütziger Verein, der spendenbasiert arbeitet. Jede Spende kommt den Kindern und Jugendlichen auf der Friedensflotte Mirno More zugute.

Bankverbindung:

Empfänger: Mirno More – Verein für Friedensprojekte
Bank: PSK-Bawag
IBAN: AT966000000092034448
BIC: OPSKATWW

Nunu Kaller ist hauptberuflich Konsumentensprecherin bei Greenpeace Österreich, in ihrer Freizeit Buchautorin und Bloggerin (www.ichkaufnix.com) und engagiert sich ehrenamtlich für die Friedensflotte Mirno More. Sie war von 2007 bis 2010 Redakteurin der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2016)

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