Kunst der Glückseligkeit

Alternative Heilmethoden und Esoterik sind längst im Mainstream angekommen. Auch Künstler greifen den Trend auf und gestalten ihre eigene Version von Spiritualität.

Von gesellschaftsanalytischer Seite her hört man derzeit: Wir leben im postfaktischen Zeitalter. Andererseits leben wir auch in der Wissensgesellschaft, gekennzeichnet durch Know-how und Rationalisierung. Außerdem in einer Gesellschaft, die Gesundheit zum Heiligen Gral gemacht hat und eventuell bald jeden via höhrere Versicherungsbeiträge bestraft, der sich nicht täglich einen grünen Smoothie mixt und beim Yoga verrenkt. Wer raucht, ist sowieso komplett out.

Außer vielleicht, er reinigt sein Karma beim Energetiker. Denn ja, wir leben irgendwie auch in der Esoterik-Gesellschaft. Der Markt dafür boomt, Bücher, Seminare und auch Kunst werden laufend produziert. Füttert man Google mit den Worten "spirituelle Kunst", hat man den Schirm voll mit leuchtend bunten Bildern, die Strahlen, Engel und allerlei organische Formen zeigen.

Es gibt aber auch Kunst, die sich ohne grellgrünes Acryl und gefiederte Flügel um spirituelle und körperliche Belange kümmert. Jene Kunst, die gesellschaftliche Tendenzen subtil aufgreift und verarbeitet, dabei oft ironisiert oder infrage stellt häufig in Form von Performance, Therapie und Rauminstallation, bieten diese Formen doch das Potenzial, der gefühlten Ohnmacht angesichts des Weltengangs eine Art Beschwörung entgegenzusetzen, die mit magischen Methoden Aktivierung von Gemeinschaft und Freiheit fördern will.

Kevinspace. Zu Caspar Heinemanns Installation legte man Karten.
Kevinspace. Zu Caspar Heinemanns Installation legte man Karten.Peter Michl

Verbindung. Auf der diesjährigen Ausgabe der Art-Basel-Unlimited-Kunstmesse stellte AA Bronson, der sich besonders seit dem Tod seiner beiden Kollegen in der Künstlergruppe General Idea mit den Themen Trauma, Heilung und Spiritualität auseinandersetzt, seine Installation "Folly" vor, die unter einem anderen Namen zuvor im Salzurger Kunstverein zu sehen war. Bronson orientierte sich an Hieronymus Boschs Gemälde "Garten der Lüste" und an japanischen Zen-Gärten und vereinte so verschiedene kulturelle Vorstellungen von Leben, Tod und energetischem Fluß in einem formalen, klar komponierten Kunstgarten. Der Boden etwa war mit Beifuß ausgelegt; einem Kraut, das in Magie und Schamanismus eine Rolle spielt.

"Sherapy". Ann Liv Young verspricht als Kunstfigur Sherry Heilung.
"Sherapy". Ann Liv Young verspricht als Kunstfigur Sherry Heilung.J.J. Kucek

In früheren Ausstellungen sorgte AA Bronson mit einem direkten Heilungsangebot für Aufsehen: Eine Massage des Hinterteils in einer eigens gestalteten Kabine, die das Lösen von Traumata und Scham bewirken sollte, schuf eine Verbindung zwischen Künstler und Besucher. Sie ironisierte zugleich den Life style-Healing-Hype, der mit absurdesten Methoden angebliche Blockaden lösen will, die uns zuvor eingeredet worden sind und uns am Glücklichsein und Erfolg hindern würden. Andererseits nimmt der Künstler das Potenzial alternativer Heilmethoden und spiritueller Aufladung durchaus ernst, schon allein, indem er Teilnehmer quasi dazu nötigt, sich fallen zu lassen.

Eine andere Form der direkten künstlerischen Heilung entwickelte die Performerin Ann Liv Young. Ihr Alter Ego Sherry bietet mit blonder Perücke und übertriebenem Make-up die sogenannte "Sherapy" an eine Art feministische Gesprächstherapie. Sherry macht seit Jahren mit ihrem Truck, zur Therapiekabine ausgebaut, bei Festivals halt, baut kollektive Sessions in Bühnenperformances ein und gibt "Sherapys" auch via Skype: 30 Minuten für 35 Dollar. Beim Steirischen Herbst 2011 in Graz bot die Künstlerin ihre Dienste in Sherry s Room einem Hotelzimmer an. Dort saß man mit ihr auf dem Bett, erzählte ihr von Problemen, sie analysierte und gab Tipps. Etwa indem sie laut rief, dass Frauen oft dächten, ihren Ärger unterdrücken zu müssen, das aber Unsinn sei. Sherry agiert stets spontan, übertreibt, nimmt die Menschen dabei dennoch ernst. Und verkauft Essenzen, etwa zur Stimulierung sexueller Energie: Nur 5 Euro! Die Kunst ist hier also eine partizipative und tritt an, sich zwischen nicht mehr kathartischem Theater, Selbstermächtigung und Humor als etwas zu positionieren, was tatsächlich eingreifen kann, ob in gesellschaftliche Verhältnisse oder in persönliche.

"Decolonial Tarot". Dargeboten von der Gruppe Cantina Corazon.
"Decolonial Tarot". Dargeboten von der Gruppe Cantina Corazon.Daniel Jarosch

Puristisch. Auch der bulgarische Tänzer und Performer Ivo Dimchev, der regelmäßig auf den Bühnen des Wiener ImPulsTanz-Festivals steht, verspricht in seinem Stück "I-Cure" dem Publikum Heilung. In zeitgenössich-postironischer Fa on, die offen lässt, wo Ironie anfängt und Wahrhaftigkeit aufhört, saß er auf der Bühne nebem einem Flatscreen auf einem Stuhl, warf die Strähnen seiner Langhaarperücke zurück und wies das Publikum an, mit dem Daumen auf die "I-Cure"-Karte zu drücken, die auf den Sesseln lag. Dort hatte man zuvor notiert, was man sich wünsche. Dimchev sagt: "Für Heilung interessieren sich doch alle heute." Auf der Bühne sang er mit seiner unglaublichen Stimme von klaren Wasserfällen und ihrer faszinierenden Energie, ließ sich von jemandem aus dem Publikum massieren, vollführte frivole Handlungen mit lapidaren Kommentaren und rieb sich mit pflegendem Öl ein, um der Haut Gutes zu tun. "I-Cure" ist, wie der Name schon suggeriert, eine aberwitzige, sich immer mehr steigernde Vorführung unserer westlichen Welt, die sich einredet, im Konsum von Ratgebern und Kursen geistige und körperliche Reinheit zu finden.

Dimchev entlarvt so den Kult des Puren, der gern vergisst, dass die Seligkeit zwischen Ayurveda-Urlaub, Day Spa und Meditationsseminar sehr wohl auch eine narzisstische Komponente hat, für die man obendrein viel Geld bezahlen muss. Den Wunsch, eine größere Einheit zwischen Körper und Geist zu spüren, verdammt Dimchev damit aber nicht per se. Denn dieser Wunsch ist vermutlich so alt wie die menschliche Kultur. Wie auch der Wunsch, sein "Schicksal" zu kennen, zu wissen, wo es langgeht, einen Guru zu finden. Sei es der neue Star der gesunden Ernährung oder ein spiritueller Leader: Trends zu Magie und Esoterik gab es in der Geschichte immer wieder, der noch heute beliebte Mix aus alten Überlieferungen, New-Age-Ideen und fernöstlichen Philosophien stammt aus den 1970er-Jahren, als Hippies und Pop-Stars nach Indien fuhren und gleichzeitig das astrologische Zeitalter des Wassermanns ausriefen.

"I-Cure". Ivo Dimchev performte heilerisch bei ImPulsTanz 2016.
"I-Cure". Ivo Dimchev performte heilerisch bei ImPulsTanz 2016.Ivo Dimchev
"Folly". Der Kunstgarten von AA Bronson auf der Unlimited in Basel.
"Folly". Der Kunstgarten von AA Bronson auf der Unlimited in Basel.AA Bronson

Einverleibung der Spiritualität. Mit diesem Trend spielt das "Decolonial Tarot", ein Projekt der in Wien ansässigen Künstlergruppe Cantina Coraz n. Die Cantina ist laut Selbstbeschreibung "eine wandelnde Performance-Bar, ein Ort, um Freundschaft und Solidarität zu feiern" und um antikolonial zu agieren. Für das Kulturfestival Wienwoche veranstaltete die Cantina konkret die Mitglieder Sophie Utikal, Gerardo Montes de Oca und Peter Haselmayer ein Event namens "Psycho Spiritual Activist Kegel Turnier, Decolonial Tarot Readings and Healing Spells". Nicht um die Zukunft ging es, sondern um unerzählte Geschichten der kolonialen Vergangenheit und um die unreflektierte Einverleibung von indigener Spiritualität. Die Karten stellen Institutionen der Gesellschaft (etwa das Gericht), Personen (die Rebellin) und Wörter wie Macht oder Freiheit dar. Sie dienen als Ausgangspunkt für Diskussionen über dekoloniale Praktiken im Alltag, die die Kartenleger mit den Besuchern führten.

Auch der Wiener Offspace Kevinspace veranstaltete im Rahmen der Ausstellung "nothing is the end of the world they made" von Caspar Heinemann Anfang 2016 ein Tarot-Caf , zu dem Kartenlegerin Andrea Kellinger geladen wurde. Die Ausstellung selbst bestand aus filigranen Malereien mit Fabelwesen und einer poetisch-trashigen Rauminstallation aus Treibholz, Autoreifen, Zwiebeln und anderen Dingen des täglichen Lebens. Ein Netzwerk aus mystischen Vorstellungen, ein magischer Kreis oder doch eher eine strenge Versuchsanordnung? In jedem Fall eine Form des Anstoßes zum Nachdenken: Denn obwohl wir Fakten dringend brauchen, um nicht irgendwelchen Verschwörungstheorien anheimzufallen, bieten auch Magie und der Glaube an (Selbst-)Heilung durchaus Potenzial für Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit der Welt.

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