Twittern gegen Depression

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Nach einem Suizidversuch erzählte Uwe Hauck im Internet über seine Erlebnisse in der Psychiatrie. Wie ihm das half, hat er nun in einem Buch beschrieben.

"Depressiv sein hat auch seine guten Seiten. Ich melde mich, wenn ich herausgefunden habe, welche das sind.“ Uwe Hauck hat einen eigenen Weg, mit seiner Depression umzugehen. Einer, zu dem Sarkasmus und flapsige Sprache gehören – und vor allem einer, an dem die Öffentlichkeit teilhaben kann. Als er nach einem Suizidversuch in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wurde, dauerte es nicht lang, bis er von dort den ersten Tweet absetzte – versehen mit dem Hashtag #ausderklapse. Weitere sollten folgen – und Hunderte Menschen auf Twitter verfolgten mit, wie es dem Softwareentwickler aus Schwäbisch Hall mit seiner Krankheit gerade ging. „Der Hashtag war mein Sprachrohr nach draußen, mein Mittel gegen Einsamkeit.“ Und auch eine Möglichkeit, das Thema Depression und Psychiatrie nach außen zu tragen. „Und das wollte ich auch ironisieren für die anderen. Um zu zeigen, dass es da drin anders aussieht, als man es sich vorstellt – Zwangsjacke und vergitterte Fenster gibt es heute ja kaum mehr.“

Der 49-Jährige hat heute kein Problem damit, offen über seine Erkrankung zu sprechen. Dass er unter Depressionen leidet, immer wieder Angst- und Panikattacken hat. Und darüber, wie er 2015 am Höhepunkt einer Attacke versuchte, sich umzubringen. Zwei Türme, von denen er springen wollte, waren versperrt, „also wählte ich eine Kombination aus Schlafmitteln, Rasierklingen und WhatsApp.“ Die Schlafmittel aus Feigheit, um die Schmerzen nicht zu spüren, die Rasierklingen, um sich die Pulsadern aufzuschneiden, und WhatsApp, um seiner Frau Lebwohl zu sagen. Schließlich hatte er vergessen, einen Abschiedsbrief zu hinterlassen. Sein Glück: Durch die Schlafmittel war er schon so benebelt, dass er die Pulsadern nicht richtig erwischte. Und seine wirren Worte auf WhatsApp alarmierten seine Frau, die sofort eine Suchaktion nach ihm starten ließ.

Angst und Depression

Als er gefunden worden war, die Ärzte seinen Magen ausgepumpt hatten, sagte der Arzt, dass eine Einweisung in die Psychiatrie sinnvoll wäre. Und nach und nach kam die Erkenntnis, dass Hauck tatsächlich ein Problem hatte. Ja, schlecht drauf war er öfter gewesen. Und auch Angst war immer wieder da. Angst, nicht gut genug zu sein, deswegen den Job zu verlieren, Angst vor der direkten Konfrontation mit Vorgesetzten, davor, in geschlossenen Räumen keine Fluchtmöglichkeit zu haben. „Aber bis zum Suizidversuch habe ich nie gedacht, dass ich eine psychische Krankheit haben könnte.“ Erst nach und nach setzte das Verarbeiten ein – und schließlich das Eingeständnis, dass er an einer Depression leidet.

Stufe für Stufe begann das Herangehen an die Krankheit. Mit Medikamenten, die ihn beruhigten, die seine dunklen Gedanken wegsperrten. Mit Therapierunden. Mit Gesprächen. Mit seiner Frau, die ihn regelmäßig besuchte. Erst auf der geschlossenen Station, danach auf der offenen. Aber eben nicht nur im direkten Kontakt mit Menschen, sondern eben auch über das Internet. „In der Klinik war Twitter optimal“, erzählt Hauck. Da ist es möglich zu kommunizieren – und sobald man nicht mehr möchte, einfach aufzuhören. „Das kann man im Alltag natürlich nicht machen.“

Das Schreiben war eine weitere Dimension, all die Dinge zu verarbeiten, die ihm durch den Kopf gingen. Mit Selbstironie: „Morgens um 6 Uhr schlafen die meisten meiner Klapsenmitbewohner noch, ich muss verrückt sein, so früh . . . oh huh a eh. #ausderklapse“. Oder nachdenklich: „Eine Depression ist wie gedanklicher Treibsand. Je mehr du dich wehrst, um so tiefer versinkst du in Dunkelheit. #ausderklapse“. Wobei Twitter für den technikbegeisterten Hauck nicht erst in der Klinik ein wichtiger Begleiter wurde. Seit 2007 hat er Spaß am Social-Media-Dienst. „140 Zeichen sind am besten zu füllen mit Ironie, Wortwitz, Sarkasmus. Die Kürze ist das Spannendste.“

Seine Liebe zu technischen Geräten und zum Internet löste bei einigen Ärzten allerdings Skepsis aus. Ob da nicht ein Suchtverhalten vorliege, das die Krankheit womöglich nur noch schlimmer mache. Und mitten in einer Phase, in der es eigentlich gut lief, war da plötzlich wieder eine große Angst – „Angst, die nehmen mir mein Smartphone weg!“ Gerade das Digitale sei doch ein Teil dessen, was ihm Sinn im Leben gibt. Um sich kooperativ zu zeigen, startet er einen Versuch – vier Wochen ohne Internet. Was zwar mühsam ist, aber bis auf einige Ausnahmen gut funktioniert. Dass ihm der Umgang mit dem Digitalen schade, glaubt er am Ende aber nicht. Im Gegenteil.

„Natürlich kann man eine übersteigerte Aktivität entwickeln“, sagt Hauck. „Aber ich würde das nicht pathologisieren. Vielleicht steckt dahinter in Wirklichkeit ein anderes Problem, das man verdecken will.“ Und ja, es gibt Beispiele von Menschen, die das Gefühl haben, dass ihnen Social Media nicht guttun. So wie etwa die deutsche Journalistin Kati Krause, die wegen ihrer Depression aus Facebook ausstieg – unter anderem, weil sie das Gefühl hatte, dass sie auf die tollen, geteilten Dinge der Menschen auf der Plattform neidisch war. Da stellte sich das Gefühl ein, dass alle anderen glücklich waren, nur sie nicht. Ein Phänomen, das Hauck auf Twitter nicht sieht. Im Gegenteil, für ihn war es befreiend. „Ich habe mich quasi nackt hingestellt, die haben meine Seele gesehen – und keiner hat draufgehaut. Das war das Befreiende.“

Das Herz öffnen

Eine Erfahrung, die er zunächst online machte, die er aber schon bald auch offline versuchte. Mit einem Vortrag bei einem Barcamp, wo er vor Publikum offen über seinen Fall redete. Vom Suizidversuch, der Krankheit, der Behandlung in der „Klapse“. Und auch dort war keine Häme, wie er es gefürchtet hatte, sondern ehrliches Interesse, Mitfühlen und viele Fragen. „Wenn man sich öffnet, merkt man, wie andere mit dem Herzen dabei sind. Das kriegt man schriftlich nicht mit.“ Auch nach seiner Behandlung bleibt Hauck bei diesem offenen Umgang mit der Krankheit. Denn geheilt wird man von einer Depression nie. Man lernt nur, wie man besser mit den Momenten umgehen kann, in denen man von ihr heimgesucht wird. Für Uwe Hauck gehört die Offenheit dazu. Im Leben da draußen – und auch auf Twitter.

ZUR PERSON:

Uwe Hauck (49) arbeitet als Autor und Softwareentwickler in Schwäbisch Hall. Seinen Suizidversuch und die anschließende Behandlung seiner Depressionserkrankung verarbeitete er zunächst auf Twitter unter dem Hashtag #ausderklapse, nun hat er über diese Zeit auch ein Buch verfasst.

"Depression abzugeben Erfahrungen #ausderklapse", von Uwe Hauck, Bastei Lübbe, 2017, 427 Seiten, 10,30 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2017)

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